Unter den zehn wichtigsten Hebeln für Klimaschutz sehen die Deutschen fünf Veränderungen im Verkehr – allen voran den Ausbau des ÖPNV (71 Prozent). Das 49-Euro-Ticket wird von einer Zwei-Drittel-Mehrheit der Befragten positiv bewertet. Jede und jeder vierte kann sich zudem den Kauf eines Elektroautos vorstellen, um etwas fürs Klima zu tun. Das sind einige der Ergebnisse aus dem „Acatech Mobilitätsmonitor“, einer repräsentativen Allensbach-Umfrage im Auftrag von Acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften. Die Erhebung zeigt Veränderungsbereitschaft, aber auch Vorbehalte – mit deutlichen Unterschieden zwischen Stadt und Land, Ost und West, wohlhabend und arm.
Klimaschutz im Verkehr kommt nur dann schneller voran, wenn technologische Innovationen Hand in Hand gehen mit besseren Rahmenbedingungen für die Mobilität von Menschen und Gütern – und beides auch in der Bevölkerung Akzeptanz findet. Deshalb beobachtet der repräsentative Mobilitätsmonitor nun im vierten Jahr die Entwicklungen im Mobilitätsverhalten der Bevölkerung, die Bereitschaft zu Veränderungen und die Akzeptanz der Elektromobilität.
Die aktuelle Bestandsaufnahme auf der Basis einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage belegt, dass Klimaschutz auch im Umfeld der derzeitigen Krisen für die Bevölkerung nicht in den Hintergrund tritt und dass sie dem Verkehrssektor eine Schlüsselrolle bei der Verringerung der Klimabelastungen zuweist. Sie setzt dabei insbesondere auf den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs (71 Prozent), die verstärkte Verlagerung des Güterverkehrs auf Schiene und Wasserwege (67 Prozent), schadstoffarme Antriebssysteme (63 Prozent) und alternative Kraftstoffe wie Wasserstoff (62 Prozent). Die Werte sind im Vergleich zu gleichlautenden Fragen in den Jahren 2019 bis 2021 gestiegen.
61 Prozent sind überzeugt, dass der technologische Fortschritt generell einen großen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann. Die Pandemie hat die Mobilität der Bevölkerung vorübergehend stark verändert. Viele möchten jedoch auch künftig verstärkt das Rad nutzen (30 Prozent), knapp jeder Fünfte den Pkw weniger.
Knapp jeder Zweite (48 Prozent) hält es zugunsten von mehr Klimaschutz für wichtig, dass Autofahrten reduziert werden und die Geschwindigkeit auf Autobahnen durch ein allgemeines Tempolimit begrenzt wird (46 Prozent). 41 Prozent versprechen sich auch einen Klimanutzen, wenn der Verkehrsfluss durch intelligente Verkehrsleitsysteme und Vernetzung verbessert wird. Am wenigsten Bedeutung wird dagegen Zulassungsbeschränkungen für Verbrennermotoren zugeschrieben. Lediglich 23 Prozent der Bevölkerung halten es zugunsten von Klimaschutz für besonders wichtig, schon bald keine neuen Pkw mit Benzin- oder Dieselantrieb zuzulassen.
Der Pkw ist nach wie vor mit Abstand das wichtigste Verkehrsmittel
Der Pkw ist nach wie vor mit Abstand das wichtigste Verkehrsmittel: 47 Prozent nutzen das Auto täglich, weitere 23 Prozent mehrmals in der Woche; das Fahrrad wird von 18 Prozent täglich genutzt, von weiteren 25 Prozent mehrmals in der Woche. Das Fahrrad wird dabei von immer mehr Menschen häufig genutzt, während die Nutzung des Autos leicht rückläufig ist. Für 72 Prozent der Bevölkerung ist das Auto unverzichtbar, gefolgt vom Fahrrad (51 Prozent) und dem ÖPNV (42 Prozent). Dabei gibt es gravierende Unterschiede zwischen Stadt und Land.
Bislang sehen nur 23 Prozent der Pkw-Nutzenden den öffentlichen Nahverkehr als ernsthafte Alternative für ihr Fahrzeug. In Ostdeutschland sind es mit 17 Prozent weniger. In Dörfern ist dieser Wert am niedrigsten mit 14 Prozent – doch auch in Großstädten sind Bus und Bahn nur für 30 Prozent eine ernsthafte Alternative. Jedoch gibt es in der Bevölkerung eine beachtliche Bereitschaft, verstärkt öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, wenn die Angebote preislich und teilweise auch von der Taktung her attraktiver werden. 48 Prozent der Bevölkerung, 52 Prozent der regelmäßigen Nutzerinnen und Nutzer halten den ÖPNV zurzeit für teuer. Das 49-Euro Ticket begrüßen 64 Prozent der Befragten.
„Viele Menschen unterstützen das 49-Euro-Ticket, weil sie sich nach attraktiven und vor allem unkomplizierten Mobilitätsangeboten sehnen. Mit Blick auf die individuell und regional sehr unterschiedlichen Mobilitätsbedürfnisse muss eine Vielfalt der Angebote möglichst einfach verfügbar sein“, sagt Manfred Rauhmeier, Geschäftsführer von Acatech. Das gelinge nur über eine intelligente digitale Verknüpfung. Dafür hat Acatech die Gründung eines Datenraums angestoßen, „in dem Mobilitätsdaten für alle fair und nach europäischen Rechts- und Wertevorstellungen geteilt werden können: Den Mobility Data Space“, so Rauhmeier.
Weiterhin Vorbehalte und Vorurteile gegenüber E-Autos
Der Kreis, für den der Kauf eines E-Autos grundsätzlich in Betracht kommt, stagniert bei 23 Prozent. Seit 2019 schwankt der Wert zwischen 21 und 24 Prozent. Hauptvorbehalte aus Sicht der Befragten sind ein hoher Anschaffungspreis (71 Prozent), zu wenig Ladestationen (64 Prozent), teurer Strom (62 Prozent) sowie Zweifel an der Umweltbilanz (60 Prozent). Negativ-Argumente, die eigentlich zum Großteil widerlegbar wären. Dass bei E-Autos kein typisches Fahrgefühl aufkommen soll, sehen immerhin nur 12 Prozent als Problem.
Insgesamt fallen Erwartungen und Wünsche der Bevölkerung auseinander: Eine Mehrheit ist überzeugt, dass sich in den kommenden zehn Jahren der Elektroantrieb durchsetzt, aber nur 22 Prozent halten es für wünschenswert. 68 Prozent glauben, dass wir in zehn Jahren immer mehr von zu Hause oder unterwegs arbeiten – aber nur 36 Prozent wünschen es. 62 Prozent erwarten Sperrungen von Innenstädten, aber nur 26 Prozent unterstützen diese Entwicklung. Lediglich in Bezug auf den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und die Optimierung des Verkehrsflusses durch die Nutzung von Digitalisierung decken sich Erwartungen und Wünsche.
„Die Umfrage zeigt deutlich, dass sehr viele Menschen den Mobilitätswandel und einen klimaschonenden Verkehr wollen, aber alltagstaugliche Lösungen brauchen, die zu ihren persönlichen, individuell wie regional sehr unterschiedlichen Bedürfnissen passen“, sagt Jan Wörner, der Acatech-Präsident. Es reiche nicht, die Menschen für „vorgefertigte Lösungen gewinnen zu wollen. Sie müssen gehört, gefragt und in die Gestaltung vor Ort zentral einbezogen sein. Nachhaltige Mobilität gelingt nur, wenn alle Menschen sich als Träger der Veränderungen verstehen und engagieren.“
„Politik, Wirtschaft und Wissenschaft müssen Antworten finden“
„Mit unserer Umfrage wollen wir ein differenziertes öffentliches Meinungsbild, also die Perspektive der Menschen und ihrer Lebensrealitäten, in die Debatten um die Mobilität von morgen einbringen. Sehr viele Menschen in unserem Land setzen sich sehr eingehend mit ihren Möglichkeiten auseinander, ihr Mobilitätsverhalten zu ändern“, konstatiert Renate Köcher, Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach und Acatech Senatorin. „Dennoch bleibt das Auto für viele Menschen unverzichtbar, vor allem in kleineren Städten und auf dem Land. Ihre Zukunftserwartungen zur Mobilität in zehn Jahren klaffen an vielen Stellen mit ihren Bedürfnissen auseinander. Darauf müssen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft Antworten finden.“
Thomas Weber, der im Acatech Präsidium für Mobilität verantwortlich ist, hält fest: „Die Umfrageergebnisse des Mobilitätsmonitors liefern wertvolle Hinweise für Wissenschaft, Wirtschaft und Politik für die anstehende Umgestaltung des Mobilitätssystems. Denn Menschen und Güter sollen in naher Zukunft sicher, ökologisch und bezahlbar ihre Ziele erreichen“. Nur so könne auch der Verkehrssektor seine anspruchsvollen Klimaziele erfüllen. Dafür brauche es alternative Antriebe, attraktivere Angebote für individuellen und öffentlichen Verkehr und ein besseres Miteinander aller Verkehrsträger, so Weber. „Mehr noch, mit Blick auf die täglichen Pendlerströme und Staus muss Deutschland Mobilität und Raum zusammen denken und integriert planen. Wir brauchen eine integrierte Stadtentwicklung und Mobilitätsplanung, für die Acatech aktuell Konzepte erarbeitet.“
Alle Materialien (etliche Grafiken und Ergebnisse in der Übersicht) zur Studie finden Interessenten auf der Sonderseite zum Mobilitätsmonitor.
Quelle: Acatech – Pressemitteilung vom 14.02.2023