Seriengründer und Tech-Investor Frank Thelen hat auf LinkedIn für sich die Frage beantwortet, ob Wasserstoff eine Zukunfts – oder nur Brückentechnologie ist. Diesen Artikel konnten wir am gestrigen Donnerstag auf unserem Portal mit dir zu teilen. Ebenfalls auf LinkedIn hat sich Dr.-Ing. David Wenger zu Wort gemeldet, seines Zeichens anerkannter Experte für Wasserstofftechnik und Gründer mehrerer Firmen auf diesem Gebiet – seine Antwort auf die Frage von Thelen wollten wir dir ebenfalls nicht vorenthalten.
Lieber Frank Thelen,
danke für den Artikel. Nach 16 Jahren an vorderster Entwicklungsfront in der Branche traue ich mir einige Einschätzungen zu.
Ich habe mal folgenden Satz gelernt: „Wenn du die falsche Frage stellst, ist die Antwort egal.“ Das bedeutet in diesem Kontext folgendes: Wasserstoff ist weder Zukunftstechnologie noch Brückentechnologie – Wasserstoff ist schon heute ein Grundstoff. Es werden pro Jahr etwa 500 Milliarden Normkubikmeter, das sind etwa 50 Millionen Tonnen, produziert, vor allem für die Petrochemie und die Düngerproduktion. Wasserstoff ist durch das Haber-Bosch-Verfahren, mit dem Kunstdünger produziert werden, eine elementare Grundlage unseres weltweiten Wohlstands. Und das seit über 100 Jahren. Vom Sex-Appeal eines „Fancy-KI-autonome-Elektro-Drohne-Startup“ ist das weit entfernt. Wasserstoff ist tägliches Brot für Chemiefabriken auf der ganzen Welt.
Bei der Produktion dieses Wasserstoffs werden pro Jahr etwa 500 Millionen Tonnen CO2 emittiert. Das ist viel. Und wenn man diesen Wasserstoff nun durch Erneuerbare Energien und Elektrolyse produzieren würde statt aus Erdgas, würde man dieses CO2 einsparen. Und darum geht es in dem „Wumms-Paket“ und der Nationalen Wasserstoffstrategie, die mit neun Milliarden ausgestattet ist.
Der Weltmarktführer für Elektrolyseanlagen heißt ThyssenKrupp. Keine Firma, die im Verdacht steht, ein sexy Investment-Geheimtipp zu sein. Aber mutmaßlich eine Firma, die so im Ruhrgebiet Arbeitsplätze schafft oder zumindest erhält. Das motiviert Politiker aller Couleur. Die zweite Motivation ist, dass die EU ein Drittel des Erdgases von einer einzigen Firma – Gazprom – bezieht. Das ist eine gigantische geopolitische Abhängigkeit. Diese zu reduzieren macht viel Sinn.
Ob Wasserstoff im Verkehr sich durchsetzt, bleibt abzuwarten. Im Wesentlichen hängt es von der weiteren Entwicklung der Batterietechnologie ab. Die Frage ist aber weniger entscheidend als man aufgrund der hitzigen Diskussionen meinen könnte.
Spannend finde ich, dass sehr viele Leute die abgebildete Grafik zitieren. Sie ist so eingängig, dass man kaum auf die Idee kommt, sie zu hinterfragen. Und doch ist sie falsch. Warum? Sie beginnt mit „100% Erneuerbare Energie“, d.h. mit einem Stromangebot, das einfach da ist. Das ist aber faktisch nicht so. Erneuerbare Energien fluktuieren, und Angebot und Nachfrage können nicht automatisch zur Deckung gebracht werden. Es braucht dazwischen einen Speicher. Diese Speicher sind entweder gigantische Batterieparks (an die ich Stand heute nicht glaube) oder ein chemischer Energiespeicher. Und der wird Wasserstoff heißen. Die Wirkungsgrade werden sich so nivellieren.
Deutschland wird nach übereinstimmenden Expertenmeinungen nicht in der Lage sein, genügend Erneuerbare Energien zu produzieren. Wir werden auf Importe angewiesen sein. Wie wird das gehen? Per Kabel? Wir schaffen es ja noch nicht einmal, ein Kabel von Norddeutschland nach Süddeutschland zu legen, um den überschüssigen Windstrom zu verteilen. Entsprechend unwahrscheinlich ist es, dass wir eins von Tunesien über Italien nach München legen. Desertec hat es versucht und ist gescheitert. Auch hier wird Wasserstoff der Weg sein, und die aktuell politisch bevorzugten (Nicht-EU)-Länder sind Marokko (Sonne+Wind) und die Ukraine (Wind). Die Pipelines sind da, man muss sie „nur“ umnutzen.
Lange Rede kurzer Sinn: Wir sollten das Thema mal ausführlich diskutieren, gerne auch unter Einbeziehung der Frage, ob Deutschland als Innovationsland auf dem Holzweg ist und wir die Dinge zerreden, während Hyundai 6 Milliarden in das Thema investiert und schon heute Weltmarktführer für Brennstoffzellensysteme ist.
Über den Autor: Dr.-Ing. David Wenger ist ein weltweit anerkannter Experte für Wasserstofftechnik und Gründer mehrerer Firmen auf diesem Gebiet. In den letzten 16 Jahren hat er mit der Wenger Engineering GmbH von Kalifornien bis Australien für fast alle Firmen in der Branche Entwicklungen vorangetrieben, vor allem im Bereich Wasserstofferzeugung, -speicherung und Tankstellen.
Um das Thema noch weiter zu fördern, hat er Anfang März die Mission Hydrogen GmbH gegründet, die sich schnell zu einer weltweit führenden Wasserstoffmarketing-Firma entwickelt hat. An den wöchentlichen Wasserstoff-Webinaren mit Vertretern des Deutschen Bundestages, des amerikanischen Energieministeriums oder von Firmen wie Linde, Nel oder Loop sind im Schnitt über 1.000 Teilnehmer dabei.
Am 08. Oktober organisiert Mission Hydrogen die weltweit größte Wasserstoffkonferenz, die Hydrogen Online Conference mit rund 10.000 Teilnehmern. Das Live-Ticket ist kostenlos. www.wenger-engineering.de, www.mission-hydrogen.de, www.hydrogen-online-conference.com.