Ein Gastbeitrag von Frederik Monnet
Ein heißer Septembernachmittag im beschaulichen Hauptort der griechischen Insel Astypalea, mitten in der Ägäis. Die Einheimischen meiden die Sonne, einige wenige Touristen spazieren umher und hoffen auf ein schattiges Plätzchen in einem der Cafés, die sich rund um die alten Windmühlen im historischen Zentrum befinden. Die fast schon idyllische Ruhe wird nur kurz von einem Surren unterbrochen. Autotüren schlagen zu, es wird sich freundlich verabschiedet und dann fährt der dunkelblaue VW ID.4 auch schon weiter.
Astypalea ist nicht nur wegen seiner speziellen Form, die an einen Schmetterling erinnert, und der etwas abgeschiedenen Lage zwischen den Inselgruppen der Kykladen und Dodekanes eine Besonderheit: Hier ist die Elektrowende so weit fortgeschritten wie an kaum einem anderen Ort Europas. Mitten in der Ägäis wird eine ganze Insel mit Unterstützung von Volkswagen in die elektrische Zukunft der Mobilität gebeamt. Im vergangenen September habe ich eine Woche auf Astypalea verbracht und konnte die vollelektrische Mobilitätslösung der Insel direkt erleben und testen.
Astypalea: Elektrifizierung in Kooperation mit Volkswagen
Auf Initiative des Bürgermeisters der Insel wurde die Gemeinde für ein Modellprojekt der griechischen Regierung und des Volkswagen-Konzerns ausgewählt. Im November 2020 wurden die Verträge für den Start der Kooperation unterzeichnet, die die Schaffung eines kompletten Ökosystems für Elektromobilität vorsehen.
Dazu gehören Zuschüsse für den Kauf von Elektromodellen von Volkswagen, die Schaffung eines vollelektrischen Ride-Hailing-Angebots (ASTYBUS) und Carsharing-Diensts (astyGO), sowie der Aufbau eines Solarparks zur Energieversorgung der Insel. Abgerundet wird das Mobilitätskonzept durch Elektroroller und E-Bikes, die ebenfalls über die exklusiv für die Inselmobilität erstelle App astyMOVE buchbar sind. Den Startschuss für die beiden Dienste ASTYBUS und astyGO gaben der damalige CEO von Volkswagen, Herbert Diess, und der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis bei einem gemeinsamen Besuch der Insel im Juni 2022.
Hohe Akzeptanz der Inselbewohner
Seit dem Projektstart hat sich die Meinung der etwa 1300 Inselbewohner gegenüber Elektroautos und nachhaltigen Mobilitätslösungen deutlich verbessert. 80 Prozent der im Rahmen einer wissenschaftlichen Begleitstudie befragten Einwohner sehen E-Mobilität und Mobilitätsdienste positiv. Besonders der ASTYBUS-Service erfreut sich großer Beliebtheit und erzielt in der Studie 97 Prozent Zustimmung.
Die hohe Zustimmung zeigt sich auch in der Neuzulassungsstatistik der kleinen Gemeinde. Mittlerweile werden nur noch batterieelektrische Autos zugelassen. Der gesamte Fahrzeugpark der Insel beläuft sich auf etwa 1500 Fahrzeuge (Pkw, Zweiräder und leichte Nutzfahrzeuge), von denen nach und nach 1000 Stück durch E-Fahrzeuge ersetzt werden sollen. Gefühlt haben auch bereits viele Einwohner die Kaufprämien genutzt, denn auf der Insel fällt direkt auf, dass auch in vielen Hauseinfahrten ein e-Up! oder ID.3 parkt. Polizei und öffentliche Verwaltung fahren ohnehin schon elektrisch.
Im finalen Status des Projekts im Jahr 2026 sollen 80 Prozent des Energiebedarfs von Asytpalea durch den 2024 auf 3,5 Megawatt Leistung erweiterten Solarpark gedeckt werden. Aktuell sind es noch 60 Prozent, die regenerativ erzeugt werden. Der Rest der benötigen Energie wird von Dieselgeneratoren produziert.
Die Nutzerfreundlichkeit der App ist noch ausbaufähig
Während meines Aufenthalts auf Astypalea in der ersten Septemberhälfte hat sich die Nutzung der astyMOVE-App allerdings als wenig intuitiv dargestellt. Getestet habe ich die Dienste ASTYBUS und astyGO. Mittels ASTYBUS, einem Ride-Hailing-Dienst, kann man eine Fahrt über die Insel buchen, bei der allerdings feste Pick-up und Drop-off-Punkte angefahren werden. Der dabei abgedeckte Bereich ist in Preiszonen unterteilt. Im Sommer sind sechs Fahrzeuge im Einsatz in den Wintermonaten vier. Hierfür werden die Modelle ID.4 und ID.Buzz genutzt.
Zwar erfährt man bei der Trip-Planung welche Preiszonen durchfahren werden, allerdings kann man die Fahrt nur buchen, wenn man vorher bereits die passenden Tickets gekauft hat. Das ist genauso umständlich wie kontraintuitiv.
Höhere Preise als der Linienbus
Der Preis für die gebuchte Fahrt vom Ortszentrum zu einem der schönen Inselstrände lag bei vier Euro. Allerdings sieht das Preismodell, anders als klassische Ride-Hailing-Dienste, eine Bezahlung pro Person und nicht pro Fahrt vor. In meinem Fall hat die Fahrt meine beiden Begleiter und mich also zwölf Euro gekostet – was dem Preis eines Taxis für die etwa 7 km lange Strecke entspricht. Definitiv kein Schnäppchen.
Die Preise für Einzelfahrten mit einem der Linienbusse liegen in der Regel bei etwa zwei Euro. Im Zuge der Einführung von ASTYBUS sollten die bisherigen Buslinien auf Astypalea eigentlich stillgelegt werden – tatsächlich waren sie während meines Aufenthalts noch in Betrieb und von gut gefüllt. Allerdings verkehren die Inselbusse nur in den Sommermonaten, wohingegen der ASTYBUS-Service das ganze Jahr betrieben wird.
Mein Fahrer war auf Rückfrage ziemlich angetan von seinem neuen Dienstfahrzeug und hat erklärt, dass er im September pro Tag etwa 30 bis 35 Touren fährt – überwiegend Touristen. Erst in den Wintermonaten, wenn die Linienbusse nicht mehr fahren, nutzen auch die Einheimischen das Angebot verstärkt. „Ein bisschen wie an der Playstation“, war die Antwort auf meine Frage, ob ihm das Fahrgefühl der neuen Elektroautos gefällt – und wie zum Beweis hat er das Gaspedal des ID.4 Pro auf der nächsten Geraden voll durchgedrückt. Ich verstehe, woher die Begeisterung für die Elektromobilität kommt.
Das Straßennetz der Insel umfasst etwa 70 km geteerte Straßen, von denen nur ein Teil im Einsatzgebiet des ASTYBUS liegt. Der durchschnittliche Trip ist dabei etwas über sechs Kilometer lang – daher reicht das Aufladen über Nacht in der Regel auch aus. Persönlich hat mich vor allem die gebuchte Rückfahrt in einem ID.Buzz begeistert. Der gefällige Kleinbus mit der Zweifarblackierung in Limonengelb und weißem Dach hat schon als Mitfahrer gute Laune gemacht und so vermutlich für mehr Urlaubsstimmung gesorgt als es ein Linienbus je gekonnt hätte – höherer Preis hin oder her.
Per Carsharing zum Traumstrand
Natürlich wollte ich auch den angebotenen Carsharing-Dienst astyGO ausprobieren und lokal emissionsfrei zum nächsten Strand fahren. Die Carsharing-Flotte besteht aus mehreren ID.3, die an verschiedenen Punkten der Insel geparkt sind. Auch für die Nutzung der kompakten Elektroautos ist eine eher umständliche Buchung nötig, die erneut vorsieht, dass man sich vor Fahrtantritt das entsprechende Guthaben kauft. In meinem Fall war das ein 2-Stunden-Pass für 29 Euro. Daraus ergibt sich ein Preis von etwa 0,24 Euro pro Minute, was vergleichbar zu anderen Carsharing-Diensten in Griechenland ist.
Ansonsten war die Nutzung einfach, und die zahlreichen Hinweise im Auto haben die Fahrt für mich als ID.3-Neuling definitiv erleichtert. Der genutzte ID.3 Pro war noch ganz frisch und hatte gerade mal 707 km auf dem Tacho, die laut Bordcomputer mit einem Verbrauch von 19,2 kWh / 100 km zurückgelegt wurden. Das liegt zwar ein gutes Stück über dem WLTP-Wert, kann sich aber dennoch sehen lassen. Der intensive Dauereinsatz der Klimaanlage und die bergige Topografie der Insel fordern nun mal ihren Tribut.
Ergänzendes Angebot auf zwei Rädern
Neben den beschriebenen Pkw-basierten Diensten, kann man über die astyMOVE-App auch Elektroroller (Seat MÓ) und E-Bikes von Ducati leihen. Beide Angebote waren während meines Besuchs teilweise noch nicht buchbar. Die an den Abholpunkten geparkten Roller hatten noch Schutzfolien aufgeklebt und waren offenbar noch nicht für den Einsatz vorbereitet.
Zusammenfassung: Spannend und mutig, aber mit Schwächen behaftet
Wenn der Chef des zweitgrößten Automobilkonzerns der Welt und der Regierungschef eines EU-Landes bei der Eröffnungsfeier eines Projekts zusammen auftreten, dann scheint das Thema wichtig zu sein. Und tatsächlich ist das Modellprojekt auf Astypalea der mutige Versuch, eine Community nicht nur von der Elektromobilität zu überzeugen, sondern gleich das ganze Verkehrs- und Energieökosystem der Insel umzustellen.
Hier sind ganz klar Erfolge vorzuweisen. Natürlich kann man Menschen mit Kaufanreizen leichter von Elektroautos überzeugen, und ehrlicherweise sind die meisten Autos im Straßenbild noch klassische Verbrenner. Aber der Anfang wurde gemacht und es ist unbestreitbar ein Weg eingeschlagen worden, den auch die Bevölkerung vor Ort unterstützt. Damit stehen die Zeichen eindeutig auf Erfolg.
Zur größeren Akzeptanz würde sicherlich eine intuitiver Nutzung über die astyMOVE-App beitragen. Als zentrales Steuerungselement für alle angebotenen Mobilitätsdienste ist sie von großer Bedeutung und wirkt leider nicht zu 100 Prozent ausgereift. Eine logischere Customer Journey und transparentere Preisgestaltung würde es besonders für Gelegenheitsnutzer wie Touristen und andere Besucher der Insel leichter machen.
Über den Autor: Frederik Monnet ist freiberuflicher Analyst, Berater und Trainer im Bereich Automotive Brand- und Produktmarketing mit zehn Jahren OEM-Erfahrung. Auf seinem Blog thewindscreen.com schreibt er zudem über alles, was den deutschen Automobilmarkt bewegt.