Bis zum Jahr 2040 soll der Verkehr in Deutschland deutlich zunehmen. Das ist das zentrale Ergebnis der Verkehrsprognose 2040, die Bundesverkehrsminister Volker Wissing Ende vergangener Woche in Berlin vorgestellt hat. Das Auto bleibe dabei das „Rückgrat der Mobilität in Deutschland“, sagte Wissing. Am stärksten wachsen soll hingegen der Verkehr über die Schiene, auch der Flugverkehr soll zunehmen, dennoch sollen in allen Bereichen die CO2-Emissionen sinken. Politiker, Wissenschaftler und Verbände allerdings kritisieren das vorgelegte Papier: Es sei zu einseitig auf das Auto ausgerichtet und stelle Prognosen über politische Ziele für besseren Klimaschutz.
Die Verkehrsprognose 2040 löst die bisherige Prognose 2030 ab. Es ist die umfassendste Vorausschau der künftigen Verkehrsentwicklung in Deutschland seit mehr als zehn Jahren. Sie berücksichtigt die jüngsten Entwicklungen in den Bereichen Mobilität und Logistik, aber auch veränderte Rahmenbedingungen wie Bevölkerungswachstum, Auswirkungen der Energiewende und Folgen des Ukraine-Krieges. Die Verkehrsprognose 2040 dient als Grundlage für die Bedarfsplanüberprüfung und damit die Neuausrichtung der Verkehrsinvestitionen.
Bis 2040 wird der Verkehr in Deutschland demnach zunehmen, besonders stark im Güterbereich. Im Vergleich zu 2019, dem letzten Jahr vor der Corona-Pandemie, soll die Verkehrsleistung bei Transport und Logistik um rund ein Drittel steigen – von 689 auf 905 Milliarden Tonnenkilometer. Auf der Schiene lege der Güterverkehr am stärksten zu (+35 Prozent). Der Lkw bleibe mit einem Plus von 34 Prozent das dominierende Verkehrsmittel, während Transporte auf Wasserstraßen zurückgehen sollen.
Der Personenverkehr soll um rund 8 Prozent auf 1323 Milliarden Personenkilometer in 2040 ansteigen. Auch hier wachse die Bahn am stärksten (+60 Prozent) vor dem Luftverkehr (+30 Prozent). Der Straßenverkehr soll gemessen an den Personenkilometern leicht zurückgehen (-1 Prozent). Gemessen am Modal-Split sollen Auto und Motorrad aber mit Abstand beliebtestes Fortbewegungsmittel in Deutschland bleiben. Zwei Drittel der Wegstrecke würden damit zurückgelegt.
„Die Verkehrsprognose 2040 hat eine klare Botschaft: Der Verkehr in Deutschland wird deutlich zunehmen. Um in Zukunft einen Verkehrsinfarkt zu verhindern, müssen wir weiter entschlossen handeln und in alle Verkehrsträger investieren: Wir brauchen ein hochbelastbares Bestandsnetz“, so Verkehrsminister Volker Wissing von der FDP. „Unsere in die Jahre gekommenen Trassen, Brücken, Tunnel und Schleusen müssen dringend saniert werden. Der Ausbau der Bahn muss weiter mit Volldampf vorangetrieben werden.“ Gleichzeitig seien auch „Erhalt und Neubau von Straßen unerlässlich, denn das Auto bleibt das Rückgrat der Mobilität in Deutschland“, so Wissing weiter.
Güterstrukturwandel: Weniger Kohle, mehr Sendungen
Ausschlaggebend für Veränderungen im Güterverkehr sei insbesondere ein Strukturwandel. Durch die Energiewende gebe es einen starken Rückgang bei Massen- und Energiegütern wie Kohle, Koks, Mineralölprodukte und Erze, die bisher vor allem auf Schiene und Wasserstraße transportiert wurden.
Großes Wachstum gebe es bei Gütern, die überwiegend auf der Straße befördert werden. Hierzu zählen Postsendungen (+86 Prozent), Sammelgüter (+56 Prozent) sowie Nahrungs- und Genussmittel (+30 Prozent). Außerdem sollen Investitionen in den klimaneutralen Umbau der Wohngebäude zu Baustellenverkehr in neuen Dimensionen führen, bei dem die Anlieferung nicht mit Binnenschiff oder Bahn erfolgen kann.
Trotz dieses Wandels soll der Anteil der Schiene am Güterverkehr deutlich zunehmen – auch aufgrund der Maßnahmen der Bundesregierung, wie z. B. die Korridorsanierung. Der vom BMDV eingeschlagene Weg, die Schiene zu ertüchtigen und ihre Kapazitäten mit einem Hochleistungsnetz zu erweitern, sei zwingende Voraussetzung, damit die Bahn die zusätzlichen Verkehre aufnehmen kann.
Deutlicher Rückgang der CO2-Emissionen
Durch den Umstieg auf klimafreundliche Antriebe auf allen Verkehrsträgern sollen die direkten CO2-Emissionen im Verkehr bis 2040 um 77 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 sinken. Beim Pkw-Verkehr sogar um mehr als 80 Prozent. Die Verkehrsprognose zeigt damit große Fortschritte, den Verkehr in Deutschland zu dekarbonisieren und auch die Straße zu einem klimaneutralen Verkehrsträger umzubauen. Sie bestätige damit die Wirkung der verkehrspolitischen Maßnahmen wie die Priorisierung der Elektromobilität, Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur oder die Einführung der CO2-Maut bei Lkw. Die Prognose unterstreicht, dass auch klimafreundliche Kraftstoffe für die CO2-Reduktion im Straßenverkehr benötigt werden.
Hintergrund: Inventur des Verkehrsgeschehens
Um die Mobilität von Bevölkerung und Wirtschaft zukunftsorientiert gestalten zu können und Verkehrsinfrastruktur den zukünftigen Erfordernissen entsprechend auszubauen, muss bekannt sein, wie viele Personen von wo nach wo mit welchen Verkehrsmitteln wollen sowie welche Güter in welchen Mengen von wo nach wo transportiert werden. Für diesen Blick in die Zukunft lässt das BMDV in mehrjährigen Abständen Langfrist-Verkehrsprognosen erstellen. Diese sachlich und räumlich tief differenzierten Verkehrsprognosen sind beispielsweise empirische Grundlage für die Aufstellung und für die Überprüfung von Bundesverkehrswegeplänen. Darüber hinaus nutzen auch die Länder, Regionen und Kommunen diese BMDV-Verkehrsprognosen als übergeordneten empirischen Rahmen für eigene Prognosen für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich.
Die Verkehrsprognose 2040 ist die aktuelle und umfassendste Grundinventur des Verkehrsgeschehens in Deutschland. Sie prognostiziert den Verkehr erstmals für rund 1600 Verkehrsräume in Deutschland. Das ist um den Faktor 4 höher als zuvor und ermöglicht eine präzisere Abbildung des Verkehrs.
Die nun vorgestellte Basisprognose ist der Auftakt für die Publikation von weiteren Fachteilen zu den einzelnen Verkehrsträgern. Sie wurde von einem Konsortium unabhängiger Institute unter der Leitung von Intraplan erstellt. Ihr liegen insgesamt 132 Prämissen zu Grunde, die das Verkehrsgeschehen in Zukunft beeinflussen. Über 250 Fachstellen waren beteiligt. Die Ergebnisse werden bei einer Tagung am 10. Dezember 2024 vorgestellt und vertieft diskutiert.
Reaktionen: „Sanierung und Instandhaltung der Infrastruktur müssen an erste Stelle gerückt werden“
Als Reaktion auf die Verkehrsprognose 2040 fordern die Grünen eine Konzentration auf die Sanierung des Bestands. „Sanierung und Instandhaltung der Infrastruktur müssen an erste Stelle gerückt werden, gerade bei einem der dichtesten Straßennetze der Welt“, sagte der verkehrspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, Stefan Gelbhaar, den Zeitungen der Mediengruppe Bayern. „Der Neubau muss zurückstehen, solange die Sanierung von Brücken, Schienen und Straßen nicht ausreichend gewährleistet werden kann.“ Gelbhaar verwies auch auf die Lücken im deutschen Ladenetz für Elektroautos und Elektro-Lkw: Die Elektrifizierung der Straße sei noch nicht abgeschlossen.
Der Grünen-Politiker forderte auch eine stärkere Betonung des Radverkehrs. „Für die Straße wird bis 2040 eine erhebliche Zunahme des Radverkehrs prognostiziert. Darauf sind Städte und Gemeinden nicht vorbereitet – der bestehende Radverkehr muss schon heute zu häufig mit schlechter Infrastruktur umgehen“, sagte Gelbhaar. Hier müsse „deutlich mehr passieren, um die grundlegende Fahrradinfrastruktur anbieten zu können.“
Die Union hingegen sieht die Prognose als klares Signal für den Bedarf neuer Straßen. „Wenn wir keinen Verkehrskollaps erleben wollen, muss unsere Verkehrsinfrastruktur dringend fit gemacht werden. Dabei muss sich nach den Realitäten gerichtet werden. Und diese lauten: Auch neue Straßen werden gebraucht, wenn Auto und Lkw die dominierenden Fortbewegungsmittel bleiben“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion für Verkehr, Ulrich Lange (CSU), der Mediengruppe Bayern. Insbesondere im ländlichen Raum seien die Menschen weiterhin auf gute Straßen und das Auto angewiesen, da ein guter ÖPNV oft fehle. „Aber auch die Wirtschaft zieht den Lkw offenbar der Schiene vor, da damit mehr Flexibilität möglich ist.“
„Was fehlt, ist ein Zielbild für die Zukunft“
Anstatt an Prognosen sollte die Bundesregierung ihre Verkehrspolitik an Klimazielen ausrichten, kritisiert der Verkehrsforscher Thorsten Koska. „Was fehlt, ist eine strategische Verkehrsplanung des Bundes, die alle Aspekte des Verkehrs integriert betrachtet und ein Zielbild für den Verkehr der Zukunft entwickelt“, sagte der Wissenschaftler am Wuppertal Institut der Deutschen Presse-Agentur. Die Verkehrsprognose des Bundes sei dahingehend nicht ausreichend.
Für Koska handelt es sich um einen Zirkelschluss, also einen Beweisfehler: Die Prognose beruhe auf den bestehenden Investitionsplänen des Bundes in die Infrastruktur, die deutlich mehr Mittel für die Straße vorsehen als etwa für die Schiene. „Diese Annahme führt im Modell dann zu weiterhin hohen Anteilen des Straßenverkehrs – im konkreten Fall besonders beim Straßengüterverkehr“, erklärt er. Auf diese Prognose reagiere der Bund dann mit mehr Mitteln für diesen Verkehrsträger. „Dadurch entsteht dann tatsächlich mehr Verkehr.“
Die Verkehrsprognose 2040 gehe zudem von äußerst konservativen politischen Prämissen aus, kritisiert Koska. „Diese Prognose schreibt von ihren Annahmen und Rahmenbedingungen her eine weitere Fortsetzung der Straßeninvestitionen selbst herbei.“ So nimmt die Prognose etwa an, dass die Pendlerpauschale in der aktuellen Form bestehen, oder die Kfz-Steuer konstant bleibe. All das seien aber Stellschrauben, mit denen sich der Straßenverkehr noch stärker lenken und reduzieren ließe. „Man muss sich fragen, inwieweit es überhaupt Sinn ergibt, eine Prognose zu erstellen, die eben nicht auf eine Einhaltung der Klimaziele ausgerichtet ist“, sagte Koska.
„Wer Straßen baut, wird Autos ernten – ein Teufelskreis“
Der VCD spricht in dem Zusammenhang von einem „Teufelskreis von Straßenbau und wachsendem Autoverkehr“, kritisiert Michael Müller-Görnert, verkehrspolitischer Sprecher des ökologischen Verkehrsclubs, und warnt vor falschen Schlüssen: „Verkehrsminister Volker Wissing erweckt den Eindruck, seine Verkehrsprognose zeige Fakten auf, an der die Politik nicht rütteln könne. Das ist falsch, wie etwa zahllose überkommene Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung zeigen“. Wahr dagegen sei: „Wer Straßen baut, wird Autos ernten. Der Autoverkehr wird nur dann im prognostizierten Maße steigen, wenn auch der Straßenneubau wie bisher weitergeht. Womit dann später weitere neue Autobahnen gerechtfertigt werden. Ein Teufelskreis.“
Deutschland habe bereits mehr als 13.000 Kilometer Autobahnen im Land und eines der dichtesten Netze der Welt. „Im Sinne des Klimaschutzes, der Artenvielfalt und der Lebensqualität darf es so nicht weitergehen“, so der VCD-Sprecher. „Richtig wäre es deshalb, den bereits laufenden Umstieg auf die Schiene zu fördern – hier muss der Ausbau beschleunigt werden, der Deutschlandtakt muss in Gang kommen.“ Der VCD fordert für die Sanierung und den Ausbau der Schiene einen überjährigen Finanzierungsfonds „in Milliardenhöhe.“
Für die Straße müsse dagegen gelten: „Priorität hat die Sanierung maroder Brücken und Fahrbahnen. Mehr Kapazitäten im bestehenden Netz würde – fast kostenlos und ab sofort – ein Tempolimit schaffen. Denn niedrigere Geschwindigkeiten senken nicht nur den CO2-Ausstoß und erhöhen die Verkehrssicherheit – sie machen den Verkehr auch flüssiger und reduzieren Staus und Engpässe. Eine Win-Win-Win-Situation“, so Müller-Görnert.
„So wird der Status quo zementiert“
Die Allianz pro Schiene sieht in der von Wissing vorgestellten Verkehrsprognose 2040 keine wegweisende Grundlage für den künftigen Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland. „Was wir nicht brauchen, ist eine prognosegläubige Infrastrukturpolitik und ein Verkehrsministerium, das Prognosen über die politischen Ziele stellt“, sagte der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege. Dieser Politikansatz sei antiquiert. Darauf habe bereits das Internationale Transport Forum der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hingewiesen.
Flege zufolge geht der Bund bei seiner Verkehrsinfrastrukturplanung bisher in der falschen Reihenfolge vor: „Das Bundesverkehrsministerium gibt erst eine Prognose in Auftrag und richtet dann seine Politik danach aus, baut der Prognose also gewissermaßen hinterher. So wird der Status quo zementiert. Hier brauchen wir ein Umdenken: Politik muss sich ehrgeizige Ziele setzen und dann die Maßnahmen ergreifen, um diese Ziele zu erreichen.“
Das für den Schienengüterverkehr vorhergesagte Wachstum von 35 Prozent bis 2040 schätzt die Allianz pro Schiene als deutlich zu pessimistisch ein. Dirk Flege: „Schon heute leidet der Schienengüterverkehr unter fehlenden Kapazitäten im Schienennetz. Niemandem ist geholfen, wenn wir das Potenzial des Schienengüterverkehrs anhand derzeitiger Kapazitätsgrenzen bemessen. In der Vergangenheit hat sich der Schienengüterverkehr trotz geschrumpftem Schienennetz nahezu verdoppelt. Die Unternehmen drängen mit ihren Warentransporten auf die Schiene. Wenn die Politik also gestaltend eingreift und neue Schienenstrecken baut statt auszubremsen, dann ist eine viel stärkere Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene möglich.“
„Deutschland kann bis 2040 ein weltweit führendes Fahrradland werden“
Der Fahrradclub ADFC kritisiert, dass der Radverkehr in der Prognose für 2040 kleingerechnet werde. ADFC-Bundesgeschäftsführerin Dr. Caroline Lodemann: „Mit der Verkehrsprognose 2040 rechnet das Bundesverkehrsministerium das Potenzial des Radverkehrs aus unerklärlichen Gründen künstlich klein. Nur 11,8 Prozent Anteil soll der Radverkehr 2040 am Gesamtverkehr haben?“ Das sei „unkundig und inkonsequent“, da es weit unter dem Ziel liege, das sich die Bundesregierung mit dem Nationalen Radverkehrsplan selbst gesetzt hat. Dort werden 15 Prozent Anteil schon für 2030 angestrebt.
„Bei optimaler Förderung des Radverkehrs und Verbesserung der Schnittstellen mit dem ÖPNV ist aber eine Verdreifachung des Radverkehrs möglich, wie kürzlich eine Studie des Fraunhofer ISI gezeigt hat“, sagt Lodemann. Deutschland könne „bis 2040 ein weltweit führendes Fahrradland werden, in dem die Menschen gerne und sicher fast die Hälfte der alltäglichen Wege auf dem Rad zurücklegen und dabei ein Drittel der jährlichen Verkehrsemissionen einsparen. Voraussetzung ist, dass politischer Wille zu einer fahrradfreundlichen Gestaltung des Verkehrs da ist. Dieser scheint bei der Verkehrsprognose 2040 schmerzlich zu fehlen.“
Quelle: BMDV / DPA / DTS / VCD / Allianz pro Schiene / ADFC – Pressemitteilungen vom 24. und 25.10.2024