In einem gemeinsamen Brief an Bundesminister Peter Altmaier appellieren Verbraucherschützer und Industrie an die Politik, bei der geplanten Reform der Netzentgelte Regelungen im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie des Klimaschutzes zu finden. Die Bundesregierung will die Integration von Elektroautos und Wärmepumpen in das Stromnetz neu regeln: Die Verbraucher sollen Strom möglichst in Zeiten geringer Nachfrage beziehen. Die Politik geht davon aus, dass im Zuge der Energiewende künftig Millionen von Elektroautos und elektrisch betriebenen Wärmepumpen ans Netz gehen. Mit der geplanten Reform der Stromnetzentgelte soll einer Überlastung der Netze vorgebeugt werden.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV), der Verband der Automobilindustrie (VDA) und der Bundesverband der Wärmepumpe (BWP) appellieren in einem offenen Brief an Wirtschafts- und Energieminister Altmaier, weitere Bundesminister und Bundestagsabgeordnete, das Modell der zeitvariablen Netzentgelte zu unterstützen, die Digitalisierung der Netze voranzutreiben und Netzbetreiber zur zügigen Flexibilisierung zu motivieren.
„Die geplante Reform der Stromnetzentgelte ist eine große Chance für mehr Klimaschutz, höhere Flexibilität und die Senkung der Stromkosten für die Verbraucher. Dafür muss die Bundesregierung sich aber für die zeitvariablen Netzentgelte als Standardmodell einsetzen. Der Vorschlag bietet eine hohe Wahlfreiheit bei den Tarifen, aber auch Entlastung bei den Kosten. Wenn Verbraucher ihr Elektroauto nachts laden und somit das Netz entlasten, muss sich das auch positiv auf ihre Stromrechnung auswirken. Das bietet Anreize zum Umstieg auf Elektromobilität und so einen Beitrag zum Klimaschutz.“ – Klaus Müller, Vorstand des VZBV
Die Stromerzeugung unterliegt durch die Zunahme der erneuerbaren Energien wachsenden Schwankungen. Eine Möglichkeit, diese Schwankungen besser auszugleichen, besteht in einer stärkeren Anpassung des Stromverbrauchs an die Stromerzeugung. Eine Flexibilisierung des Verbrauchs kann für eine bessere Auslastung der Stromnetze und damit zu niedrigeren Stromkosten je Kilowattstunde führen.
Die Elektrifizierung und intelligente Vernetzung der Bereiche Verkehr, Gebäude und Industrie wird eine tragende Rolle bei der Erreichung der deutschen Klimaziele spielen. Vor dem Hintergrund der Mobilitätswende und des damit einhergehenden Anstiegs privater Ladeeinrichtungen für Elektroautos sowie der Elektrifizierung im Gebäudesektor durch elektrische Wärmepumpen rückt jetzt das Flexibilitätspotential des Stromverbrauchs der Verbraucher in den Fokus. Ein Teil der E-Autos kann auch nachts geladen, der Betrieb von Wärmepumpen zeitlich befristet unterbrochen werden.
„Die Bundesregierung kann mit dieser geplanten Reform einen entscheidenden Beitrag zum Hochlauf der Elektromobilität und damit zum Klimaschutz leisten – wenn das Vorhaben richtig umgesetzt wird. Dazu gehört auch, auf zeitvariable Netzentgelte zu setzen. Eine ausschließliche Fokussierung auf die sogenannte Spitzenglättung in Verbindung mit einer zusätzlichen Bepreisung uneingeschränkter Leistung kann zu deutlichen Preissteigerungen führen. Wenn Besitzer von Elektroautos eine gesicherte Leistung nur zu besonders hohen Tarifen erhalten, kann das den Hochlauf der Elektromobilität und damit das Ziel einer CO2-freien Mobilität gefährden.“ – Hildegard Müller, VDA-Präsidentin
Das Modell der „Spitzenglättung“ als Regellösung lehnen die Verbände ab. Stattdessen fordern sie die Unterstützung des Modells der „zeitvariablen Netzentgelte“. Das heißt, Verbrauchern werden unterschiedliche Preise zu unterschiedlichen Zeiten angeboten, nach denen sie ihre Stromnutzung individuell anpassen können, wobei es ihnen freisteht, diese Anpassungen selbst vorzunehmen. Zum Beispiel könnten Verbraucher ihr Elektroauto und/oder ihre Wärmepumpe zu nachfragearmen und daher preisgünstigen Zeiten laden beziehungsweise betreiben.
„Steuerbare Wärmepumpen leisten schon heute ihren Beitrag zur Stabilisierung des Energiesystems. Bei einer Reform der Netzentgelte ist entscheidend, dass die über eine Million Wärmepumpenbesitzer und -besitzerinnen finanziell nicht schlechter gestellt werden dürfen. Die alleinige Fokussierung auf das Modell der Spitzenglättung darf nicht dazu führen, dass neue Hindernisse beim Wechsel von fossil befeuerten Heizungen auf klimafreundliche Wärmepumpen geschaffen werden.“ – Paul Waning, BWP-Vorstand
Ein Gutachten im Auftrag des VZBV (hier als PDF) kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass das Modell der zeitvariablen Netzentgelte als Regellösung bei der Reform im Energiewirtschaftsgesetz rechtlich verankert werden sollte.
Quelle: VZBV – Pressemitteilung vom 31.08.2020