Jan-Philipp Büchler war zu Gast im Elektroauto-News.net Podcast. Gemeinsam haben wir uns zum Gespräch über die Tesla-Studie, die sich auf die Geschichte von Tesla und dessen Beziehung zu seinen Zulieferern konzentriert, zusammengefunden. Jan-Philipp Büchler, Professor für Unternehmensführung an der Fachhochschule Dortmund, hat umfangreiche Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Weltmarktführern, insbesondere im Bereich der Automobilzulieferer. Er betonte die Bedeutung der “Hidden Champions” aus Deutschland, die ein Drittel der Teile in einem Tesla-Fahrzeug liefern. Diese Unternehmen sind nicht nur Zulieferer, sondern auch Innovationspartner, die Tesla mit ihrem Fachwissen unterstützen.
Büchler erklärte, dass Teslas Innovationsansatz sich durch Schnelligkeit und Einfachheit auszeichnet, wobei der Fokus auf Nutzenmaximierung liegt. Dieser Ansatz unterscheidet sich von traditionellen Automobilherstellern, die oft durch komplexe Prozesse und Strukturen eingeschränkt sind. Teslas Bereitschaft, Risiken einzugehen und neue Lösungen auszuprobieren, hat zu einer schnelleren Produktentwicklung geführt. Dieser Ansatz hat auch die Hidden Champions beeinflusst, die nun ihre Entwicklungsprozesse überdenken und sich auf neue Marktsegmente ausdehnen.
Selbst habe ich hinterfragt, ob Teslas Erfolg in der Automobilindustrie auch dazu beigetragen hat, traditionelle Hersteller zum Umdenken zu bewegen. Jan-Philipp stimmte zu und betonte, dass der Wettbewerb von Unternehmen wie Tesla, Rivian und anderen das Innovationsgeschehen belebt hat. Er schloss mit dem Hinweis, dass zukünftige Automobilmessen, wie die CES in Las Vegas, den wachsenden Einfluss von Technologie und Digitalisierung in der Automobilindustrie widerspiegeln werden. Aber hör doch am besten selbst rein.
Gerne kannst du mir auch Fragen zur E-Mobilität per Mail zukommen lassen, welche dich im Alltag beschäftigen. Die Antwort darauf könnte auch für andere Hörer des Podcasts von Interesse sein. Wie immer gilt: Über Kritik, Kommentare und Co. freue ich mich natürlich. Also gerne melden, auch für die bereits erwähnten Themenvorschläge. Und über eine positive Bewertung, beim Podcast-Anbieter deiner Wahl, freue ich mich natürlich auch sehr! Danke.
Transkript über Tesla & Deutschlands heimliche Helden
Sebastian
Servus, Jan-Philipp. Nachdem wir uns vor gut einer Woche getroffen haben, um gemeinsam mit Christian Walter über die Transformation Trails zu sprechen – der Podcast ist schon draußen, so viel sei erwähnt – gehen wir beide heute noch mal auf das Thema deiner Tesla-Studie ein und tauchen da ein Stück weit mehr in die Geschichte des wohl bekanntesten Elektroautoherstellers ein, aber eben auch im Zusammenhang mit seinen Zulieferern. Bevor wir da allerdings eintauchen, wie angekündigt, stelle dich gerne mal unseren Zuhörer*innen noch mal vor, damit die einfach auch wissen, wer auf der anderen Seite des Mikrofons sitzt.
Jan-Philipp Büchler
Herzlichen Dank, Sebastian, für die schon mal freundliche Einführung. Mein Name Jan -Philipp Büchler. Ich bin Professor für Unternehmensführung mit dem Schwerpunkt auf Wachstum mittelständischer und Weltmarktführer, also in der Mittelstands-Professur in Dortmund an der Fachhochschule.
Bin dort mit vielen, vielen Weltmarktführern aus dem Mittelstand in vielen Forschungsprojekten, in Transformationsprojekten, Innovations- und Technologieberatungsthemen unterwegs. Und da sind eben auch eine ganze Reihe an Zulieferern für die Automobilindustrie dabei und insbesondere für die Elektromobilitätshersteller und -anbieter. Natürlich auch da drunter die Nummer eins in dem Bereich, Tesla. Und da lernt man schon eine ganze Menge über neue Verhaltensweisen, neue Muster in der Automobilindustrie. Das ist das, was mich fasziniert, was für mich auch den Reiz dieser ganzen Arbeit bei mir ausmacht, wo ich mit Studierenden und mit Unternehmen zusammen dran arbeite.
Vorher war ich in der Industrie acht Jahre tätig bei Henkel, in der Konsumgüterindustrie, aber auch im Klebstoffbereich, also im industriellen Klebstoffbereich und im M&A und Business Development. Bringe also eine gesunde, breite Industrieerfahrung mit. Aber heute eben, und das schon seit elf Jahren auf der Professur ein Schwerpunkt auf dem Mittelstand.
Sebastian
Du hast es schon gesagt, es geht um den Weltmarktführer, es geht um Weltmarktführer im Bereich Mittelstand. Tesla ist ja dann aber eher noch mal eine Ebene drüber anzuordnen sozusagen. Darum geht es in deinen Tesla-Studien. Vielleicht möchtest du uns die auch kurz erläutern, was eben der Fokus darin ist und worum es da geht.
Jan-Philipp Büchler
Interessanterweise, bevor die beiden großen Studien letztes und vorletztes Jahr herausgekommen sind, hatte ich schon 2018 zusammen mit Hermann Simon in einem Fallstudienkompendium in einem Case-Study-Buch, das ich geschrieben habe, mit ihm einmal in einem Artikel über die Innovationsbedeutung bei Tesla, respektive auch den Beitrag der deutschen Hidden Champions dazu geforscht und recherchiert.
Damals hatten wir uns nur auf das Automobil, auf das Fahrzeug und die Teile der deutschen Mittelständler in dem Fahrzeug konzentriert. Und das war schon erstaunlich, dass also rund ein Drittel der Komponenten und Teile von deutschen Mittelständlern im Tesla verbaut sind. Und das sind dann nicht nur Kleinteile, sondern eben auch ganz entscheidende Teile, Steuergeräte, der Kabelbaum, also relevante, sicherheitsrelevante oder auch fahrzeugrelevante Teile. Auch aus dem Karosseriebau und Ähnliches. Und das fand ich halt schon ganz spannend, aus diesem ersten Versuch mal zu schauen, wie denn da so die Beziehung, die Bedeutung ist, ist dann sehr viel mehr entstanden in den Folgejahren, auch ein wenig getriggert eben durch Giga Berlin, also durch Grünheide.
Und in dem Zusammenhang habe ich mir noch mal auch genauer angeschaut, was die deutschen Hidden Champions auch alles im Bereich von Fertigung, Fertigungs-Know-how, von Konstruktionswissen, aber auch von Maschinen und Anlagen im Bereich Produktion beitragen. Und das gab noch mal ein sehr viel aufschlussreicheres und differenzierteres Gewicht auf die Zusammenarbeit. Und da sind bemerkenswerte Ergebnisse herausgekommen.
Sebastian
Du hast es eben schon erwähnt, also die Hidden Champions, insbesondere aus Deutschland, machen ein Drittel der Teile aus, die in einem Tesla verbaut ist. Das ist ja definitiv eine Ansage. Nach außen hin hört man davon eigentlich nicht sonderlich viel. Und jetzt könnte man ja aber, wenn man deiner Erläuterung folgt, schon mitteilen, Tesla wäre heutzutage gar nicht so erfolgreich, wenn es eben nicht unsere deutschen Hidden Champions gibt.
Jan-Philipp Büchler
Also das würde ich unbedingt unterschreiben. Die deutschen Hidden Champions sind noch mal eine ganz besondere Klasse für sich, per se, was Innovationsleistung angeht. Und die deutschen Hidden Champions, die Tesla beliefern, sind in dieser Champions League noch mal ganz weit vorn.
Vielleicht mal so ein paar Kennzahlen, um das einzuordnen. Während also die deutschen DAX 40 im Schnitt 3 bis 3,5 % F&E-Quote aufweisen, sind es im Bereich der Hidden Champions, also die Grundgesamtheit aller Hidden Champions weisen da rund 6 % F&E-Quote auf. Aber die Hidden Champions, die Tesla beliefern, die weisen im Schnitt rund 10 % F&E-Quote auf. Und das ist schon mal tatsächlich eine Liga für sich. Das ist aber nur der Input, also was gebe ich hinein in meine Entwicklungsanstrengungen?
Beim Output zeichnet sich ein ähnliches Bild. Während die DAX-Unternehmen im Schnitt sechs Patente pro 1.000 Mitarbeiter anmelden, sind es dann bei den Hidden Champions in der Grundgesamtheit 31 Patente pro 1.000 Mitarbeiter. Die Hidden Champions, die aber Tesla-Zulieferer sind, die melden im Schnitt 50 Patente pro 1.000 Mitarbeiter an.
Heißt also, F&E-Quote höher, Patentquote deutlich höher, noch mal um ein Vielfaches. Und das zeigt eigentlich, wie effizient, wie stringent, wie erfolgreich geforscht und entwickelt wird. Und das ist natürlich für Tesla nicht nur attraktiv, sondern auch gewissermaßen fast eine Bedingung, diese Innovationsquelle anzuzapfen und aktiv zu nutzen, wenn ich diese Industrie, die Automobilindustrie, mit einer traditionell deutschen Vorherrschaft aufbrechen will.
Sebastian
Warum machen das nicht deutsche Automobilhersteller?
Jan-Philipp Büchler
Also natürlich arbeiten auch die deutschen Automobilhersteller mit vielen dieser Hidden Champions zusammen. Ob jetzt immer in dieser Intensität und in dieser Direktheit, das steht auf einem anderen Blatt. Und da zeigt meine Studie eben auch, dass Tesla sehr viel direkter mit den Hidden Champions zusammenarbeitet und vor allem in einer ganz anderen Art und Weise.
Und das hängt mit dem grundsätzlichen strategischen Set-up von Tesla zusammen. Bei sehr viel geringerer Komplexität, weil ganz geringe Variantenvielfalt, also Einfachheit dominiert, habe ich auch eine sehr viel einfachere, strukturierte Supplier-Pyramide. Und in dieser einfachen Pyramide kann ich sehr viel direkter mit den Zulieferern auch entwickeln und co-entwickeln. Punkt eins. Das heißt, in der Struktur bin ich schon direkter aufgestellt.
Dann aber in der Herangehensweise besteht bei Tesla keinerlei Eitelkeit im Sinne von: „Ich habe Herrschaftswissen, ich habe Erfahrung, ich bin der Größere. Ich sage dir, wie es geht.“ Du bist der Bestellschreiber. Du bekommst eine Zertifizierung zu einem bestimmten Zeitpunkt, wenn du das und das gemacht hast, der Prozess ist so und so lang, und irgendein Tier-1 oder Tier-2 wird dich, kleiner Tier-2 oder Tier-3, eben steuern. Ich als großer Konzern habe damit gar keinen direkten Kontakt mit dir, gar keinen direkten Zugriff. Das ist also ein elendig langer, bürokratischer Prozess, über mehrere Stufen kaskadiert und eben in der Herangehensweise durch Herrschaftswissen dominiert, während es bei Tesla eben genau das Gegenteil ist.
Nicht nur direkt und unkompliziert, sondern auch vollkommen uneitel. „Überrasche mich. Wir brauchen eine neue Lösung. Hier ist ein Problem. Du bist der Experte, Zulieferer. Erklär mir doch, wie es funktioniert. Und wenn du eine ganz neue Lösung hast, umso besser.“ Also eine völlige Offenheit.
Das hängt damit zusammen, dass es keine Pfadabhängigkeiten gibt, keinen historischen Ballast. Da kann Tesla befreiter aufspielen und das tut es. Das Unternehmen fordert geradezu die Kernkompetenz, den Erfindungsreichtum, die Kreativität, das Neudenken bei den Hidden Champions heraus. Und da treffen sich eben und entsprechen sich auch irgendwo zwei Welten.
Sebastian
Zudem hast du, oder du hast jetzt eben erwähnt, die Art und Weise ist eben eine ganz andere. Hast du es auch spürbar oder sehr deutlich aufgezeigt, wie sehr es sich denn unterscheidet, auch sage ich mal, von den deutschen OEMs? Es geht aber ja auch so weit, dass diese Hidden Champions nicht nur Zulieferer sind, sondern Tesla geht ja auch schon einige Schritte weiter – das hattest du jetzt im Vorgespräch erwähnt – und gliedert komplette Unternehmen dann einfach, also kauft die auf, gliedert die bei sich ein, was ja noch mal ein Stück weit stärkere oder viel, viel stärkere Einbindung in eigene Prozesse ist. Und das ist ja auch ein Thema deiner Studie gewesen.
Jan-Philipp Büchler
Also Tesla ist auch vertikal stärker integriert, hat mehr Wertschöpfung inhouse als die klassischen OEM. Das hängt auch eben wiederum mit der grundsätzlichen strategischen Ausrichtung einer größeren Einfachheit, also einer geringeren Komplexität, zusammen.
Tesla kauft dort auch – strategisch natürlich – Wissen zu und hat auch in den letzten Jahren zwei deutsche Hidden Champions gekauft, nämlich einmal das in der Eifel sitzende Unternehmen Grohmann Engineering, das heute nur noch unter Tesla Automation firmiert, und hat in Tesla Automation einen zweiten Hidden Champion eingegliedert, nämlich ATW. Also hier wurde Spezialistenwissen, Know-how, Expertise im Bereich Engineering, im Bereich Maschinen- und Anlagenplanung, Produktionsplanung erworben. Und das ist sicherlich strategisch relevant.
Zeitgleich wurde gerade auch bei dem Unternehmen Grohmann Engineering das Ganze auch als ein sehr durchdachter und auch effektiver taktischer Wettbewerbsschachzug, der Nebeneffekt genutzt, dass eben die bestehenden Verträge, die Grohmann seinerzeit mit deutschen OEMs hatte, beispielsweise zum Aufbau einer Batteriezellfertigung für Mercedes in Kamenz, die wurden gekündigt von heute auf morgen, sodass also etwa dem deutschen Automobilkonzern schon erhebliche Schwierigkeiten bereitet wurden.
Ein Elektromodell, und zwar nämlich der sogenannte Tesla Killer, IQS, kam deutlich verspätet auf den Markt. Bestellungen mussten storniert werden. Man hatte also Lieferverzögerungen und Ähnliches. Das war vielleicht auch nur ein Beifang, denn das eigentliche strategische Kalkül Teslas war natürlich das Wissen zu bekommen.
Zeitgleich wird natürlich dann ein solcher Roadblock gesetzt. In dieser Hinsicht spielt Tesla auch mit harten Bandagen, hat aber auch die härtesten Wettbewerber, die es in der Industrie gibt, gegen sich. Ist also alles sicherlich verständlich und auch nicht nur einseitig.
Aber abgesehen von dieser Integration von Spezialistenwissen und der Integration ganzer Hidden Champions oder auch kleinerer Start-ups, im Bereich jetzt kontaktloses Laden, wie zuletzt mit Wiferion aus Freiburg. All das zeigt ja die Empfänglichkeit, die Offenheit, auch Spezialwissenunternehmen zu integrieren in Tesla, dieses Wissen auch aufzusaugen.
Die Lernbereitschaft und Lernfähigkeit ist dort enorm. Die geleisteten Akquisitionen, die sind erfolgreich, so wie wir bewerten können. Sie liefern, auch wenn vielleicht nicht alles ruckelfrei ist. Der Name Grohmann wurde aus Grohmann Engineering entfernt. Es ist ein bemerkenswerter Vorgang. Kein beispielloser, aber ein bemerkenswerter Vorgang. Und das ist nicht alles jetzt irgendwie als Sonnenscheingeschichte zu verstehen. Aber am Ende stimmt die Performance und das ist erst mal jetzt fürs Geschäft entscheidend. Und vor dem Hintergrund stellt Tesla es sehr schlau an.
Auf der anderen Seite, das war der Eingangsteil deiner Frage, Tesla gestaltet die Beziehungen anders als die klassischen OEMs. Und das habe ich in vielen Gesprächen mit Top-Management, mit Entwicklungsleitern, mit Produktionsleitern erfahren, dass die Prozesse sehr viel kürzer sind, dass also die Geschwindigkeit in der Entwicklung ein entscheidender Faktor darstellt, entscheidender auch als Kosten. Also Zeit, Schnelligkeit ist der neue Wettbewerbsvorteil, nicht Kosten. Punkt eins.
Punkt zwei: Tesla ist experimentierfreudig und offen für ganz neue Lösungen. Und so habe ich also Aussagen gehört wie: „Mein Team wird aufs Äußerste gefordert und wir können auch mit einem nicht zertifizierten, zu Ende zertifizierten Teil an die Linie gehen und direkt ausprobieren.“ Wir lernen viel schneller. Ich bin in wenigen Monaten mit einem neuen Teil im Fahrzeug. Das würde mich beim klassischen deutschen oder amerikanischen großen Konzern mindestens anderthalb bis zwei Jahre kosten. Also dieser zeitliche Vorteil, diese Direktheit, dieses Ausprobieren, auch die Bereitschaft zu scheitern dabei.
Also das Thema Sensorik und visuelle Erfassung versus Ultraschallerfassung im Einparkbereich oder Ähnliches, das sind alles Themen, wo Tesla durchaus starke, risikoreiche Entscheidungen trifft, teilweise revidiert. Aber es zeigt eben diese Uneitelkeit im Sinne von: „Nein, wir haben eine starke These, dass das funktioniert.“ Und in vielen Fällen funktioniert es und manchmal eben nicht.
In der öffentlichen Wahrnehmung wird häufiger dieses, was alles nicht bei Tesla funktioniert, in den Blickpunkt genommen. Dabei sind viel, viel mehr der Sachen, die Tesla mal grundlegend anders macht, die am Ende funktionieren. Und das finde ich halt so bemerkenswert und die Hidden Champions ziehen genau da ganz stark mit.
Sebastian
Das fällt ja wahrscheinlich auch deshalb nicht auf, weil es eben Hidden Champions sind, dadurch versteckt unterwegs sind. Und Tesla macht das ja schon geschickt, damit das eben auch nicht nach außen getragen wird, so wie du es ja jetzt auch aufgeführt hast.
Jetzt möchte ich noch mal auf den Punkt Schnelligkeit vor Kosten zurückkommen. Das leuchtet mir ein. Vor allem, wenn du schneller das Produkt auf den Markt bekommst, hast du ja auch wieder Vorteile, was ja im Nachgang ja auch zu wahrscheinlich mehr Umsatz führt schlussendlich.
Ich verstehe es dennoch nicht ganz, warum man mit dem Umdenken des Antriebs auch bei deutschen OEMs nicht jetzt auch ein Umdenken von den Prozessen, von den Ablaufprozessen einhergeht und dann sagt: „Okay, wir versuchen diesen Weg auch einzuschlagen“, weil auch ein Mercedes, VW, wie sie alle heißen, hätten ja tief genuge Taschen, um solche Wege auch einzuschlagen. Oder was hindert die dran? Ist es eine Mentalität, die da einfach auch dagegen steht?
Jan-Philipp Büchler
Zum einen ist es eine gewisse, wir nennen das Pfadabhängigkeit. Da sind Entscheidungen und auch Strukturen geschaffen worden, die du nicht von heute auf morgen umkrempeln kannst.
Wenn ich seit Jahrzehnten eine Zuliefererstruktur habe, die derart vielschichtig und mehrstufig ist, mit solchen Vorlaufzyklen in der Entwicklung – und ich muss sie im Verbrennerbereich noch erhalten –, kann ich mit denselben Unternehmen, die irgendwo als Tier-2, Tier-3, Tier-4 unterwegs sind, nicht in meiner eigenen Organisation für ein neues Produkt ganz anders verfahren. Das klappt nicht von heute auf morgen. Da gibt es also unendlich viele Brüche, Konflikte, Irritationen, neues Lernen.
Das ist also eine der größten, ich nenne es einerseits organisational, strukturellen Barrieren, wie auch zum Teil kulturellen Barrieren. Denn die Erfolge, die Tesla hat und die Radikalität, mit der Tesla vieles anders macht, erschüttert schon grundsätzliche Gewissheiten, die wir in der Automobilindustrie bisher hatten.
Das betrifft eine Neustrukturierung des Produktionsprozesses. Das betrifft die neue Konstruktionsweise des Fahrzeuges. Sei es, ob es jetzt nun aus der Giga-Presse stammende Großteile sind, die auf viel Robotereinsatz, viel Energieeinsparung, viel Gewichtsreduktion und Ähnliches einzahlen und dort wirkliche Vorteile bringen.
Das betrifft die andere neuartige Kabelbaumstruktur und -montage. Wenn ich gegenüber vier Kilometer Kabel heute nur noch 100 Meter Kabel verwende, bedeutet das weniger Kosten, bedeutet es weniger Gewicht, bedeutet es schnellere Montage, bedeutet es höher automatisierte Montage. Das sind alles zeitliche und Kostenvorteile, am Ende aber gleichzeitig auch Nutzenvorteile für den Kunden, nämlich geringeres Gewicht und mehr Reichweite damit am Ende. Heißt, ich habe immer in allen Innovationen bei Tesla die Logik: geringere Kosten und mehr Leistung.
Und dieses Innovationsmantra ist nicht eine Selbstverständlichkeit im deutschen Automobilbau der letzten zwei Jahrzehnte gewesen. Da ging es um Kosten, Kosten, Kosten und gleichzeitig hohe Komplexität. Hier geht es um Schnelligkeit, Einfachheit und dabei Nutzenmaximierung. Gleichzeitig ist durch die Einfachheit fast immer automatisch – und durch das Neudenken fast immer automatisch – auch noch ein Kostenvorteil dabei. Und das ist das, was Tesla gerade mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit und Konsequenz macht. Das schockiert viele in der Automobilindustrie in Deutschland ungemein. Das sind Erschütterungen bis ins Mark, zum Teil.
Und dann, wenn Gewissheiten verloren gehen, plus ich habe noch meinen Ballast an Organisation und Prozess dahinter und ich habe es nie anders gemacht, da muss ich erst mal schlucken, mich berappeln und schütteln und dann anfangen zu lernen und zu verändern. Das ist eine Anpassungsphase, die braucht Zeit, die braucht Jahre.
Sebastian
Aber diese Anpassungszeit hat hoffentlich schon begonnen und dass diese Pfadabhängigkeit auch ein Stück weit aufgelöst wird, oder?
Jan-Philipp Büchler
Ja und nein. Also ich glaube, es gibt die Automobilkonzerne jetzt bei uns in Europa, auch in Deutschland, die lernen schneller und andere haben dann doch mehr Barrieren intern, unternehmenspolitisch in der Eigentümerstruktur, in den Mitspracherechten von Betriebsräten und und und.
Also es ist ja nicht so, dass alle „Hurra, hier kommt die Veränderung“ schreien. Die Strukturen, die geschaffen wurden und die jetzt über Jahrzehnte erfolgsversprechend waren, werden nicht von einem auf den anderen Tag geändert. Und da brauchen wir Anpassungszeit, da brauchen wir Anpassungshilfen. Manchmal tut es gut, wenn man auf der grünen Wiese beginnen könnte, können aber nicht alle.
Also insofern können dann wiederum natürlich die Hidden Champions ein Motor, ein Begleiter, ein Berater und auch Hilfesteller sein. Die Hidden Champions haben auf jeden Fall gelernt, dass ihre Engineering- und Development-Abteilungen wichtiger geworden sind im Marktumfeld. Und es gibt nicht wenige der Zulieferer, die ihre Engineering-Dienstleistungen massiv ausbauen, zusätzlich zu ihrem Standardprogramm.
Sie haben also gesehen, dass ihre Entwicklungskompetenz gerade von den E-Automobilisten, von den neuen Playern sehr viel stärker gefragt und in Anspruch genommen werden, als es bisher bei den klassischen OEMs war. Das macht sie in der Entwicklung bedeutsamer, gibt ihnen durchaus auch einen Wettbewerbsvorteil über vielleicht Wettbewerber aus dem Ausland. Das macht sie stark und das macht sie eigentlich auch umso wichtiger für die deutschen OEMs.
Wenn die das erkennen und die Entwicklungsprozesse entsprechend anpassen und dann auch die Geschwindigkeitsvorteile der Hidden Champions nutzen, die Innovationsökosysteme der Hidden Champions clever anzapfen, dann werden sie schneller aufholen können. Aber Tesla ist da im Moment noch mit einigen Jahren Entwicklungsvorsprung vorne.
Sebastian
Wenn wir das jetzt Ganze umdrehen und auch mal aus Blick der Zulieferer der Hidden Champions schauen. Das heißt, die haben ja aber auch … Oder wie ist das aus deiner Sicht? Ist das für die von Vorteil, dann eben auch zu sagen: „Okay, wir konzentrieren uns auch bewusst auf diese neue Denkweise „Schneller, günstiger, vielleicht auch ein Stück abseits der normalen Wege, Pfade gedacht“? Wäre das etwas, was du empfehlen würdest, gerade in Hinblick darauf, wo unsere Mobilität oder der Mobilitätsmarkt sich hinentwickelt?
Jan-Philipp Büchler
Ja, also auf jeden Fall. Diese Denke und diese grundsätzliche Logik von Innovation, die Tesla sehr schön strukturiert hat und die auf eine Entsprechung bei den Hidden Champions trifft, nämlich erst mal grundsätzliche Vereinfachung als allerersten Schritt und das Neudenken, das ist für die Hidden Champions etwas, was inzwischen eine sehr viel stärkere Selbstverständlichkeit geworden ist, was ihnen auch hilft, auch abseits der Automobilindustrie neue Märkte zu erschließen.
Es gibt nicht wenige, die eben ihre Neuentwicklungen auch so weit neu denken, dass sie sagen, das ist ja nicht nur eine relevante Anwendung im Automobilbereich, sondern vielleicht auch im Windenergiebereich oder im Schiffsbau oder sonst wo, wo eben Vereinfachung, Gewichtseinsparung, längere Haltbarkeit, also das heißt nutzenrelevante Themen, vielleicht die Reduktion von Verbindungselementen, die gleichzeitig ultra fest und leichter sind.
Und wenn ich dann noch weniger verschraube an diesen Verbindungselementen, habe ich weniger Montageaufwand, weniger Gewicht, weniger Material und gleichzeitig eine Kosteneinsparung und dann halten die auch noch länger. Wunderbar. Das sind genau die wertschaffenden Innovationen, die braucht nicht nur die Automobilindustrie, sondern die … Ich sehe jetzt, wie viele der Automobilzulieferer das in nahe angrenzende Marktareale transferieren und neue Applikationskontexte finden. Das hilft gerade den Automobilzulieferern vielleicht ein wenig, so den Veränderungsdruck aus der Automobilindustrie und die Abhängigkeit zu reduzieren, neue Chancen wahrzunehmen, sich breiter aufzustellen und auch noch mal schneller zu lernen.
Also diese Transformation, die durch Tesla ganz massiv vorangetrieben wird, treiben die Hidden Champions auch weiter und mittlerweile auch in angrenzende Marktareale und Branchen. Also ich sehe das aus Innovationsforschungsgesichtspunkten als einen ganz großen Segen, der uns an ganz vielen Stellen wirklich weiterbringt und Verkrustungen und alte Strukturen und Denkweisen wirklich aufbricht, wachrüttelt. Das ist erst mal sehr positiv zu bewerten.
Sebastian
In diesem Sinne kann man ja dann Tesla auch im Endeffekt dafür sehr dankbar sein, dass sie den Markt eben auch so ein Stück weit aufrütteln und auch der Automobilindustrie in Deutschland noch mal so einen anderen Drive mit auf den Weg geben.
Jan-Philipp Büchler
Definitiv. Ebenso kann man aber auch den Rivians, Fiskers, Lucids oder auch den chinesischen OEMs dankbar sein, denn Wettbewerb belebt nicht nur das Geschäft, sondern belebt das Innovationsgeschehen. Und vor dem Hintergrund, wenn man jetzt in diesen Tagen Richtung IAA geguckt hat und jetzt mal vorausschaut, die vielleicht inzwischen noch wichtigere Messe als die IAA, ist die CES in Las Vegas nächstes Jahr im Januar, weil das Auto elektronischer wird, softwaregetriebener wird, digitaler wird. Also nicht mehr die IAA in München ist da, wo die dicke Show stattfindet und wo das Neueste gezeigt wird. Vielleicht in Punkt Blech, Karosse, Design, aber die Nutzung des Autos verändert sich derart radikal und da sehe ich wirklich the latest thing: Das ist das, was ich dann in Las Vegas an der CES sehe. Und da verschiebt sich gerade extrem viel.
Und da können wir all den Playern, die als neue OEMs unterwegs sind, dankbar sein. Davon wird nicht jeder überleben und davon wird nicht jeder riesengroß, erfolgreich oder profitabel werden. Aber es sind alles sehr gescheite Unternehmen, die mutig genug sind, Dinge komplett anders zu denken. Und wie zuvor besprochen, Scheitern gehört dazu. Aber neue Nutzungsweisen, neue Konstruktionsweisen, neue Komponententeile, neue Maschinen dahinter ist das, was gerade entsteht.
Da hat der deutsche Mittelstand einen Riesenanteil und eine Riesenstärke und die gilt es eben zu nutzen. Ich sehe also auch in der gesamten Transformation viel, viel mehr Chancen als Bedrohung. Das ist aber auch das, was ich bei den führenden Mittelständlern so wahrnehme. Das Klagen oder Bedrücktheit entsteht eher da, was Rahmenbedingungen angeht. Von Fachkräftemangel, Energiepreise, politische Rahmenbedingungen, die sich vielleicht viel zu schnell ändern oder unnötigen Druck erzeugen. Da sehe ich sehr viel Klage. Die Transformation selbst, die wird eigentlich positiv weitestgehend aufgenommen, weil sie vielfach und überwiegend als Chance der eigenen Erneuerung und des Erreichens neuer Marktpotenziale und Möglichkeiten dient und gesehen wird.
Sebastian
Bleibt mir jetzt auch nicht mehr viel zu sagen, außer vielen Dank für die Einblicke, Jan-Philipp, in deine Tesla-Studie, in das Reich der Hidden Champions und welche Chancen eben noch auf dem Weg liegen. Und ich bin mir sicher, wir vertiefen das in einer der kommenden Podcastfolgen noch mal. Vielen Dank für deine Zeit.
Jan-Philipp Büchler
Herzlichen Dank. Hat mich auch gefreut.