Grüner Wasserstoff kann beim Klimaschutz helfen und zu einer sicheren Energieversorgung beitragen. Er kann sauber verbrannt, gut gespeichert und transportiert werden. Als Kraftstoff könnte er theoretisch Autos, Busse, Flugzeuge und Schiffe antreiben. Einige Visionäre wollen ihn jedoch nicht herstellen, sondern nach ihm bohren. Entbrennt nun ein Wettlauf um das farblose Gold?
Weder Geräusche, noch Emissionen, noch der Verschleiß von Teilen: Wasserstoff-Brennstoffzellen gelten als vielversprechende Option für die zukünftige Mobilität. In einem kleinen Kraftwerk unter der Motorhaube erfolgt geräuschlos die Reaktion von Wasserstoff mit Sauerstoff an hauchdünnen Membranen. Diese Reaktion erzeugt Energie und führt zur Entstehung von reinem Wasser.
Die filigranen Energiewandler, auch als “Stacks” bezeichnet und in Stapeln angeordnet, könnten das Potenzial haben, die Mobilität auf fundamentale Weise zu transformieren. Die Technologie faszinierte bereits im 19. Jahrhundert den Visionär und Schriftsteller Jules Verne, er prophezeite im Jahr 1875: „Wasser ist die Kohle der Zukunft. Die Energie von morgen ist Wasser, das durch elektrischen Strom zerlegt worden ist. Die so zerlegten Elemente des Wassers, Wasserstoff und Sauerstoff, werden auf unabsehbare Zeit hinaus die Energieversorgung der Erde sichern.“
Die Herstellung von Wasserstoff ist ressourcenintensiv und teuer
Doch Wasserstoff (H2) ist aktuell nicht die effizienteste Methode, erneuerbaren Strom zu produzieren. Denn bei seiner Herstellung geht viel Energie verloren und das bedeutet auch, dass für die Produktion von Wasserstoff enorme Mengen Ökostrom benötigt werden. Deshalb ist es immer noch vorteilhafter, erneuerbaren Strom direkt zu nutzen.
Zudem ist nicht jede Form von Wasserstoff gleichermaßen klimafreundlich, sondern abhängig von der Herstellung: Als besonders klimafreundlich gilt grüner Wasserstoff, der durch Elektrolyse von Wasser entsteht und für dessen Herstellung Ökostrom genutzt wird. Bei grauem Wasserstoff jedoch ist der Ausgangsstoff Erdgas. Es wird unter Einsatz von Hitze in CO2 und Wasserstoff umgewandelt. Das entstandene CO2 gelangt in die Atmosphäre und verstärkt dadurch den Treibhauseffekt. Blauer Wasserstoff entsteht wie grauer Wasserstoff. Einziger Unterschied: Bei blauem Wasserstoff wird das entstandene CO2 gespeichert. Das ist kohlenstoffarm, aber nicht kohlenstoffneutral. Denn beim Einsatz der Speichertechnik CCS werden noch immer Treibhausgase in die Atmosphäre freigesetzt.
Die Nutzung des Brennstoffes Kohle als Energieträger produziert wiederum braunen Wasserstoff. Orangener Wasserstoff entsteht aus Bioenergie – etwa Biomasse, Biokraftstoff, Biogas oder Biomethan – , die üblicherweise aus Abfällen und Reststoffen stammt. Bei der Verbrennung werden die darin gebundenen Treibhausgase freigesetzt. Daher ist die CO2-Bilanz von orangenem Wasserstoff zwar niedriger als dem aus fossilen Brennstoffen, aber auch höher als bei grünem Wasserstoff. Türkiser Wasserstoff entsteht durch die thermische Spaltung von Methan. Anstelle von CO2 entsteht hierbei ein fester Kohlenstoff. Damit die Produktion CO2-neutral bleibt, müssen erneuerbare Energien verwendet und der Kohlenstoff dauerhaft gebunden werden.
Roter Wasserstoff ist Wasserstoff, der mithilfe von Kernenergie erzeugt wurde. Die Erzeugung ist dabei zwar CO2-frei, aber das benötigte Uran bleibt eine nicht erneuerbare Ressource, der CO2-Fußabdruck für die Stilllegung von Kernkraftwerken ist schwer abzuschätzen und die Endlagerung noch immer ungelöst. Gelber Wasserstoff bezeichnet die Wasserstoffproduktion aus einer Mischung erneuerbarer Energien und fossiler Brennstoffe. Und dann gibt es noch weißem Wasserstoff, der lediglich als Abfallprodukt anderer chemischer Verfahren entsteht, aber auch geologisch vorkommen kann. Und um genau diese Art von H2 geht es.
Was ein brennendes Loch mit der Zukunft zu tun hat
Die Regierungen unterstützen die Bemühungen um die Herstellung von Wasserstoffkraftstoff mit Subventionen. Viele Start-ups und Unternehmen suchen nach wie vor nach billigen Wegen zur Herstellung von Wasserstoff, bisher mit begrenztem Erfolg. Einige moderne Visionäre wollen ihn nun nicht herstellen – sondern nach ihm bohren. Deshalb sucht eine bunt gemischte Gruppe von Wasserstoffjägern nach “natürlichem” (oder “geologischem”) Wasserstoff, von dem sie glauben, dass er häufiger vorkommt, als allgemein angenommen wird.
Ähnliches geschah Mitte des 19. Jahrhundert mit Öl. Nach Erdöl zu bohren, wurde zunächst als Spinnerei abgetan – zumal einige Bohrversuche scheiterten. Doch die Welt befand sich inmitten einer Energiekrise und Walöl war Mangelware. Dann, eines Tages im Jahr 1859, stieß Edwin Drake auf eine Quelle in Pennsylvania und das Ölzeitalter begann.
Bohren wir bald nach Wasserstoff?
Nun stellt sich die Frage: Könnte etwas Ähnliches auch mit Wasserstoff passieren? In gewisser Weise sei das bereits geschehen, wie die Londoner Wochenzeitung “The Economist” berichtet. Auf der Suche nach Wasser bohrten Einheimische in Bourakebougou, einer abgelegenen Ecke von Mali in Westafrika, im Jahr 1987 gut 100 Meter tief in die Erde und gaben schließlich auf, da das Loch trocken war. Doch zu ihrer Ãœberraschung fing es auf mysteriöse Weise Feuer.
Der Brunnen wurde schnell verschlossen und geriet in Vergessenheit, bis ein findiger Geschäftsmann herausfand, dass der Brunnen 98 Prozent reinen Wasserstoff produzierte. Die Bohrung zapfte ein großes Reservoir an natürlichem Wasserstoff an, das bis heute besteht. Danach wurde Wasserstoff unter anderem in Frankreich, Amerika, Brasilien, Australien, Kolumbien und Oman gefunden. Doch warum sind diese Wasserstoffquellen bisher nicht bemerkt wurden? Es mag seltsam erscheinen, aber die großen Ölfirmen haben nie nach Wasserstoff gesucht oder Sensoren eingesetzt, um ihn aufzuspüren. Außerdem ist das Gas nicht nur geruch-, sondern auch farblos.
Große Vorkommen von geologischem Wasserstoff?
Laut dem Economist veröffentlichte Viacheslav Zgonnik, ein Chemiker ukrainischer Herkunft, im Jahr 2020 eine Übersicht über die akademische Literatur, aus der hervorging, dass molekularer Wasserstoff in der Natur viel weiter verbreitet sei als bisher angenommen. Frühere westliche Wissenschaftler hätten sich jedoch nur auf englischsprachige Arbeiten konzentriert. Dr. Zgonnik, der fließend Russisch spricht, durchforstete auch die nicht digitalisierten, nicht übersetzten Papierarchive der alten Sowjetunion nach Hinweisen. Nach der Durchsicht von mehr als 500 Studien gelang ihm ein Durchbruch.
Nach einer Schätzung gibt es demnach mehr als ein Dutzend Möglichkeiten, wie Wasserstoff in der Natur vorkommen kann, aber nur bei einer Handvoll davon sei es wahrscheinlich, dass sie zu kommerziell gewinnbaren Vorkommen führen. Die vielversprechendste, so Dr. Zgonnik, sei die Serpentinisierung: Eisenhaltiges Gestein unter der Erdoberfläche reagiert mit sehr heißem Wasser, wobei Eisenoxid und Wasserstoffgas entstehen – es rostet also. Eine andere Theorie besagt, dass Wasserstoff tief im Erdkern oder -mantel entstehe und dann durch Risse an die Oberfläche gelange. Eine weitere Theorie, die so genannte Radiolyse, geht davon aus, dass Energie aus radioaktivem Gestein das Wasser tief unter der Erde in Wasserstoff und Sauerstoff spaltet.
Seit der Veröffentlichung von Dr. Zgonniks Artikel habe das Interesse an Wasserstoff stark zugenommen, wird weiter berichtet. Das US-amerikanische Energieministerium, das immer noch Milliarden in die Herstellung von Wasserstoff pumpt, sei zu der Ansicht gelangt, dass “große Mengen an geologischem Wasserstoff wahrscheinlich im Untergrund der Erde vorhanden sind”. Es wird sogar davon ausgegangen, dass es genug gäbe, um die Weltwirtschaft für Jahrhunderte zu versorgen.
Sogar Bill Gates investiert in das Gas
So zieht die Suche nach Wasserstoff nun einige Investoren an: etwa S&P Global, ein Finanzdatenunternehmen, und australische Entdecker wie HyTerra und Gold Hydrogen. Andere Projekte werden durch staatliche Zuschüsse oder stille Gelder von Öl- und Bergbaugiganten finanziert. Koloma, ein Startup-Unternehmen mit Sitz in Denver, erhielt laut dem Economist vor kurzem eine Finanzierung in Höhe von 91 Millionen Dollar von der Venture-Investment-Abteilung von Breakthrough Energy, einer von Bill Gates gegründeten Organisation für Klima-Innovationen. Koloma habe eine Technologie entwickelt, um geologischen Wasserstoff zu identifizieren, zu erschließen und zu produzieren. Im Gespräch mit dem britischen Wirtschaftsmazin am Rande der UN-Klimakonferenz habe Gates über natürlichen Wasserstoff gesagt: “Er könnte gigantisch sein oder ein Flop, aber wenn er wirklich da ist… wow!” Deshalb setze er auf dieses Start-up.
Viele Experten und Visionäre sind sich einig, dass es eine große Menge Wasserstoffvorkommen auf der Welt gäbe. Die Frage ist nun, ob er auch genutzt werden kann. Aber es ist möglich, dass ein billiger, kohlenstoffarmer Kraftstoff irgendwann in der Zukunft allgemein verfügbar sein wird. Wasserstoff hat die höchste Energiedichte aller chemischen Brennstoffe und ist außerdem sehr reaktionsfreudig. Das macht ihn so wirkungsvoll. Er könnte zur Herstellung wichtiger, aber derzeit schmutziger Produkte wie Flüssigbrennstoffe, Stahl und Ammoniak verwendet werden. Wenn genügend Wasserstoff vorhanden ist, könnte man etwa Stärke ohne Photosynthese herstellen, was die Landwirtschaft revolutionieren würde.
Nur die Kernfusion habe ein vergleichbares Potenzial, sagt Eric Toone, Technologievorstand von Breakthrough Energy. Wasserstoff sei jedoch eine weniger riskante Wette. Wenn man genügend Wasserstoff habe und er billig genug ist, könne man buchstäblich alles machen. Und das sorgt aktuell für eine Goldgräberstimmung mit unvorhersehbarem Ausgang.
Quellen: The Economist – Meet the boffins and buccaneers drilling for hydrogen / Bundesregierung – Energie aus klimafreundlichem Gas / Michelin – Jules Vernes Traum / TAZ – Schlummernder Energieträger