In einem Interview spricht die Mercedes-Benz-Truck-Chefin Karin Rådström über die Fortschritte und die Herausforderungen im Bereich der Elektro-Lkw. Vor allem geht es um die Lkw-Maut, die Elektro-Lastwagen rentabler werden lässt, die noch mangelhafte Ladeinfrastruktur und das autonome Transportieren.
Karin Rådström hält seit gut dreieinhalb Jahren den Posten als Chefin von Mercedes-Benz-Trucks inne, eine Marke von Daimler Truck, die vor zweieinhalb Jahren aus dem Mercedes-Konzern ausgegliedert wurde. Ursprünglich aus Schweden stammend, war Karin Rådström zuvor die Leiterin der Bussparte von Scania. Ihre bedeutendste Herausforderung besteht nun im Übergang von Diesel zu Elektro, insbesondere vor dem Hintergrund des EU-Ziels, wonach bis 2030 60 Prozent der Neuzulassungen von Lastwagen klimaneutral sein sollen. Trotz dieser Vorgabe zeige sich, dass derzeit nur wenige Speditionsunternehmen bereit sind, auf Elektro umzurüsten – vor allem auch, weil nach wie vor ein eklatanter Mangel an erforderlichen Ladesäulen bestehe.
Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung teilt sie ihre eigene Erfahrung als Lkw-Fahrerin und betont, dass sie vor kurzem den eActros 600 in der Nordheide präsentiert hat. „Wenn man gewohnt ist, ein Benzinauto zu fahren und in ein Elektroauto steigt, ist es ein ganz besonderes Gefühl beim ersten Mal, weil es so leise und sanft ist. Bei einem Lkw ist der Unterschied noch krasser. Und wenn man das Gaspedal betätigt, reagiert der Elektro-Lkw viel, viel schneller als ein Diesel-Lkw“, sagt Rådström im Interview. Es gebe inzwischen sogar Kunden, deren Fahrer das elektrischen Fahren inzwischen bevorzugen würden, weil es entspannter sei, fügt sie hinzu.
Je mehr gefahren wird, desto mehr lohnt sich der Umstieg
Die Managerin weiß, dass Kunden in der Transport- und Logistikbranche weniger emotional seien. Kunden, hauptsächlich Unternehmen mit einem rationalen Geschäftsansatz und schmalen Gewinnspannen, würden vor allem auf die Kosten achten. Ein Lkw sei ein Arbeitsgerät; die Entscheidung für einen Elektro-Lkw werde ihrer Meinung nach in erster Linie durch wirtschaftliche Überlegungen beeinflusst. Die Kostenstruktur spiele eine zentrale Rolle, wobei der höhere Anschaffungspreis für Elektro-Lkw durch niedrigere Energiekosten und eine höhere Effizienz ausgeglichen werde.
Der eActros 600 ist zwei bis zweieinhalb Mal teurer ist als ein vergleichbarer Diesel-Lkw, erklärt Rådström. Dabei gebe es Bestrebungen des Unternehmens, die Kosten zu reduzieren – insbesondere durch steigende Stückzahlen, die zu niedrigeren Kosten für Batterien und Elektrokomponenten führen sollen. Sie betont dennoch, dass selbst bei erfolgreichen Bemühungen die Anschaffungskosten für Elektro-Lkw voraussichtlich höher bleiben werden als für Diesel-Lkw: „Auf der anderen Seite ist die Energieeffizienz des E-Lkw besser als die des Diesel-Lkw. Und Strom ist billiger als Diesel. Bei unseren typischen Kunden entfallen etwa 40 Prozent der Kosten auf den Lohn des Fahrers und 40 Prozent auf die Dieselkosten. Zehn Prozent ist der Preis des Lkw und die letzten zehn Prozent sind Reparatur, Wartung, Reifen, Verwaltung und so weiter“, so die Mercedes-Benz-Trucks-Chefin. Das Verhältnis werde sich beim E-Lkw ändern. Der Anschaffungspreis werde relevanter sein, aber die Energiekosten sind auch günstiger.
Der neuen Lkw-Maut steht Rådström positiv gegenüber. Sie glaubt, dass diese Maßnahme dazu beitragen könnte, dass sich Elektro-Lkw für Unternehmen rentabler gestalten, insbesondere wenn sie viele Kilometer zurücklegen. Unter diesen Bedingungen könnten sich elektrisch betriebene Lastkraftwagen nach etwa vier oder fünf Jahren rechnen, fügt sie hinzu. „Einige Kunden sagen inzwischen, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, zu dem es für sie anfängt, wirtschaftlich Sinn zu machen“, erzählt sie der Süddeutschen Zeitung.
„Die Regierung könnte eine größere Rolle spielen“
Im selben Zuge kritisiert sie ein zentrales Problem der Elektrifizierung: den Mangel an Ladestationen. Die Notwendigkeit eines schnellen Ausbaus der Infrastruktur wird als entscheidend für den Erfolg der groß angelegten Umstellung auf Elektro-Lkw betrachtet. „Kurzfristig ist es ein bisschen wie mit der Henne und dem Ei. Es gibt nicht genug Lkw, um wirklich in die Infrastruktur zu investieren, damit es rentabel ist. Aber auf der anderen Seite investieren die Kunden nicht in den Lkw, wenn die Infrastruktur nicht vorhanden ist“, mahnt die CEO. Dabei erwähnte sie auch das Vorhaben, in Zusammenarbeit mit Volvo und Traton bis 2027 rund 1700 öffentliche Ladepunkte in Europa schaffen zu wollen. Insgesamt seien bis 2030 etwa 45.000 Ladepunkte erforderlich, um die gesamte europäische Lkw-Flotte zu elektrifizieren – angesichts der sechs Millionen Lkw, die auf Europas Straßen unterwegs sind.
Ob es zum aktuellen Stand der Infrastruktur überhaupt möglich ist, einen E-Lkw sinnvoll zu nutzen, hängt laut Rådström davon ab, wohin man fahren will. „Auf vielen Strecken ist es noch nicht so einfach“, gibt sie zu. Für Unternehmen wie Mercedes-Benz Trucks sei es wichtig ist, mit Energiekonzernen wie BP und Shell zusammenzuarbeiten, da diese ihre Tankstellen für die Zukunft umstellen und sich darauf vorbereiten müssen. Die Regierung könnte eine größere Rolle spielen, sei es durch den Bau eigener Infrastrukturen oder durch Subventionen. Die Notwendigkeit einer verbesserten Fördermittelbeantragung wird im Interview ebenfalls angesprochen: Kunden müssten oft lange warten, bis klar ist, ob sie überhaupt Fördermittel erhalten.
Die Diskussion über die deutsche Regierung zeigt, dass bereits Maßnahmen ergriffen wurden, um die Verkehrswende zu unterstützen. Kunden, die Elektro-Lkw erwerben möchten, können einen Zuschuss beantragen, der 80 Prozent des Preisunterschieds zum Diesel-Lkw ausgleicht. Doch bei dieser Förderung müsse das Antragsverfahren vereinfacht werden, zumal einige Lkw-Arten von der Förderung ausgeschlossen seien: „Vor allem weil das Programm zu Beginn die Fahrzeuge förderte, die pro gefördertem Euro am meisten CO₂ einsparen. Elektrische Müllabfuhrwagen sind zum Beispiel im Förderprogramm zunächst praktisch chancenlos gewesen, weil sie vergleichsweise wenige Kilometer fahren.“
Autonome Technologien komplexer als angenommen
Die Transformation zu Elektro-Lkw stelle für Mercedes eine besondere Herausforderung dar, insbesondere da der Großteil des Geschäfts weiterhin mit Diesel-Trucks abgewickelt wird. Dies verdeutlicht die Komplexität und den Spagat, den Unternehmen in der Übergangsphase bewältigen müssen. Die Transformation der Lastwagenbranche zu einer nachhaltigeren Zukunft ist laut der Managerin eine ständige Lernreise. Rådström hebt hervor, dass in den eigenen Fabriken nun vermehrt Hochspannungskomponenten im Fokus stehen und die Mitarbeiter daher ein differenziertes Fachwissen benötigen. Diese Veränderung betrifft nicht nur die Produktion, sondern auch die Vorbereitung der Händler sowie die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen.
Angesichts der noch geringen Verkaufszahlen von Elektro-Lkw im Vergleich zum Gesamtabsatz von Mercedes-Benz Trucks (nur 0,3 Prozent) stellt sich laut Süddeutscher Zeitung die Frage nach Greenwashing. Dies weist Rådström aber zurück und betont ihre persönliche Verpflichtung zur Transformation. Ihr Ziel sei es, die Branche aktiv zu verändern und die Herausforderungen der Elektromobilität anzugehen. Dass die Dekarbonisierung die deutsche Industrie ruinieren könnte, glaubt sie allerdings nicht, und hebt die herausragenden Fähigkeiten der deutschen Mitarbeiter in Technologieentwicklung, Produktion und Vertrieb hervor. Trotz höherer Energiekosten in Deutschland sieht sie die Qualität und Effizienz der Arbeit als entscheidende Faktoren, die den Standort Deutschland weiterhin attraktiv machen. „Für mich gibt es keinen Grund, woanders zu produzieren“, bekräftigt sie.
Ein weiteres Thema, das die Branche beschäftigt, ist die Autonomisierung von Lastwagen. Hierbei wird betont, dass die Entwicklung und Umsetzung autonomer Technologien komplexer sei als ursprünglich angenommen. Daimler Truck arbeite in diesem Bereich mit der Tochterfirma Torc in den USA zusammen, um die Technologie weiterzuentwickeln und zu erproben. Aktuelle Lkw-Fahrer müssten sich aber keine Sorgen machen, da sie eine langfristige Arbeitsplatzsicherheit genießen würden, zumal es derzeit in Europa einen großen Mangel an Lkw-Fahrern gebe. „Wenn alle Stricke reißen, habe ich immer noch meinen Lkw-Führerschein“, fügt Rådström humorvoll hinzu.
Quellen: Süddeutsche Zeitung – „Ein ganz besonderes Gefühl, weil es so leise und sanft ist“ / vdi Nachrichten – Ladeinfrastruktur für E-Lkw in Europa ist eine Mega-Herausforderung