Es gab eine Zeit, da überboten sich Politiker und Autobauer mit Visionen. In ihren Planspielen von der Alles-mit-allem-vernetzt-Zukunft gab es keine Unfälle mehr, keine Staus, keine Abgase und keine Wartezeiten, weil allwissende Rechner autonome Elektroautos in optimierte Verkehrsströme hineintakten und wieder aus ihnen heraus, während im Bildschirm die Skype-Verbindung zu Gattin und Kindern aufgebaut wird.
Derart angetan war der damalige Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt von dieser schönen neuen Welt, dass er umgehend ankündigte, schon bald könne man hinterm Lenkrad seelenruhig im Internet surfen oder E-Mails checken. Was er damals verschwieg, war die Gesetzeslage. In den Paragraphen nämlich stand das genaue Gegenteil. Das hinderte aber selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht an ihrer Prognose von 2017: „Wir werden in 20 Jahren nur noch mit Sondererlaubnis selbstständig Auto fahren dürfen.“
Seither ist es stiller und stiller geworden um die autonome Fortbewegung. Corona hin oder her. Derart in Scharen wie gedacht, wollen die Deutschen das Steuer nämlich gar nicht aus der Hand geben. Das belegen diverse Untersuchungen, unter anderem die „2019 Global Automotive Consumer Study“ der Beratungsgesellschaft Deloitte: Notbremse von Geisterhand – wunderbar; gerne auch ein bisschen Lenkhilfe bei aufkommender Müdigkeit; aber zurücklehnen und auf „Fahrer unser“ machen lieber doch nicht. Erste Konsequenz: Mercedes lässt seine Zusammenarbeit mit BMW vorerst ruhen und kooperiert für Entwicklungen im Bereich automatisiertes Fahren mit dem kalifornischen Tech-Unternehmen Nvidia.
Selbstverständlich ist Assistenz ein Segen. Mit einem alten Auto kracht man nach einem Moment der Unaufmerksamkeit ruckzuck ins bereits stehende Gefährt des Vordermanns – im modernen Pendant erkennen Kameraaugen und Radarsensoren den drohenden Crash, und ein schlauer Algorithmus verfügt eine Vollbremsung, noch bevor wir überhaupt erschrocken sind. Andererseits: Den nervenden Spurhalte-Assistenten schalten die meisten doch schon aus, bevor sie aus der Hofeinfahrt gerollt sind.
Jeder Zweite traut dem Frieden hinterm Lenkrad nämlich nicht so recht. Die einen haben generell Zweifel an der Funktionsfähigkeit der komplizierten Systeme, andere fürchten sich vor Attacken von Hackern – und gar zwei Drittel der Skeptiker befürchten, bei einem Unfall für Fehler der Technik haften zu müssen. Grenzenlose Begeisterung für das Auto-Mobil sieht irgendwie anders aus.
Im Bundesverkehrsministerium ist die Euphorie ebenfalls auf der Strecke geblieben. „Vielleicht in fünf bis zehn Jahren“, heißt es da. Und auch dann eher nur auf speziellen Routen. Bei Suchverkehr im Parkhaus etwa oder auf Autobahnen, wo es keine Kreuzungen und keinen Gegenverkehr gibt. Ähnlich die Einschätzung bei den Autobauern: Vor 2030, so der Tenor, würden selbstfahrende Autos wohl nicht in erklecklichen Stückzahlen auf die Straße rollen. Dabei wollten Politiker wie Konzernlenker mit geringeren Stau- und Fahrzeiten doch zigtausende Tonnen CO2 pro Jahr einsparen.
Ein Problem ist das Geld. Nicht erst seit Beginn der Corona-Krise. Und zwar auf allen Seiten. Die Kunden wollen nicht so tief in die Tasche greifen wie die Hersteller einst gedacht haben. Für ein wirklich autonom fahrendes Auto sind Kameras, Ultraschall, Radar, Laser und jede Menge Sensoren nötig, von der Rechnerleistung für Datenverarbeitung in Echtzeit gar nicht zu reden. Das alles kostet. Die Hersteller bei Entwicklung und Produktion – und den Staat in Sachen Infrastruktur. Schon eine simple Ampel müsste aus Sicherheitsgründen zum Licht noch parallel ein Funksignal aussenden. Und das wäre erst der Anfang.
Beim Auto würde sich mit der komplexen Technik schnell mal der Grundpreis verdoppeln. Da zucken selbst betuchtere Privatkunden. Und das, obwohl die Deutschen nach Untersuchungen für ein selbstfahrendes Auto im Schnitt sogar 24 Prozent Aufschlag zahlen würden – in China und den USA sind es weniger als zehn. Und so sind die Grenzen klar: Mehrpreis für einen Stau-Assistenten gerne – aber eben keine 30 000 Euro zusätzlich für Rundum-Versorgung. Bei den Herstellern sieht man das ähnlich. Autonome Systeme, räumt man dort ein, würden sich auf absehbare Zeit vor allem für Nutzfahrzeuge oder Fahrdienste lohnen.
Zumal gerade Lenker hochpreisiger Autos meist im besten Sinne altmodisch sind und gerne selbst ins Volant greifen. Schließlich sind Emotionen und Fahrfreude mit die wichtigsten Kaufgründe. Und genau da liegt gerade für Premium-Anbieter das Risiko. Wenn das Auto von morgen ohnehin elektrisch und vollautomatisch rollt: Warum sollte man sich noch für ein ganz bestimmtes entscheiden? Wer fährt wie im Taxi, dem reicht eine Art Taxi. Motor, Getriebe oder Fahrwerk sind dann ja keine Kriterien mehr. Nicht mal mehr das schicke Cockpit oder der Klappen-Auspuff. Wozu noch Markentreue, wenn es nur mehr Freude am Sitzen gäbe und keine mehr am Fahren?