Die letzte Meile elektrifizieren ohne das Stromnetz zu überlasten

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Preisschock, Blackout-Angst und Netze an der Belastungsgrenze: Die Lage in der Energieversorgung ist angespannt. Damit trotz dieser Herausforderungen die Elektromobilität weiter ausgebaut werden kann, braucht es eine intelligent gesteuerte und effiziente Ladeinfrastruktur.

Die CO2-Emissionen des Straßengüterverkehrs stiegen von 1990 bis 2020 um 17 Prozent. Mit einem CO2-Ausstoß von 46 Millionen Tonnen ist der Straßengüterverkehr für 7 Prozent der deutschen Gesamtemissionen verantwortlich. Da der Straßentransport, gerade auf der letzten Meile, zuverlässig geplant werden kann, ist dieser Bereich prädestiniert für die Elektrifizierung. Allerdings sollte man darauf achten, dass die hohe Emissions-Belastung nicht direkt von einer hohen Netzbelastung abgelöst wird. Denn, die Vorteile einer elektrisierten Flotte lassen sich nur nutzen, wenn die Ladeinfrastruktur und das Stromnetz den Bedarf tragen können.

Für den Lieferverkehr sind Elektrofahrzeuge insgesamt eine gute Wahl. Spediteure erreichen damit ihre Nachhaltigkeitsziele leichter. Der Druck in diese Richtung wuchs nicht zuletzt mit dem Lieferkettengesetz und dem Verkaufsverbot von Verbrenner-Fahrzeugen in der EU ab 2035 noch einmal weiter. Zusätzlich reduzieren sich die Kosten für den Flottenbetrieb. Batterien werden stetig günstiger. Seit 2010 sanken die Kosten pro Kilowattstunde für eine Lithium-Ionen-Batterie von 600 auf 92 Euro. Die Wartung von Elektrofahrzeug ist um etwa 35 Prozent günstiger als bei vergleichbaren Dieselfahrzeugen.

Mit Smart-Charging-Systemen ohne Blackout-Angst elektrifizieren

Schlussendlich brauchen jedoch alle Elektrofahrzeuge vor allem eines: Strom. Der ist aktuell ein begehrtes Gut. Die Elektrifizierung des Verkehrs sollte die Angst vor Netzüberlastungen und Blackouts nicht noch verstärken.

„Die Elektrifizierung des Verkehrs soll als etwas Positives aufgenommen werden. Die Menschen müssen die Vorteile davon wahrnehmen. Wenn dieser Schritt jedoch für mehr Angst und Unsicherheit sorgt, ist das Gegenteil der Fall. Und die Verkehrswende kann nur gelingen, wenn sie aus der Mitte der Gesellschaft getragen wird“, sagt Ore Oluwatudimu, Manager Solutions Engineering Europe von ChargePoint.

Dem lässt sich mit Intelligenten Ladelösungen entgegenwirken. Spediteure, die eine Elektrifizierung ihrer Flotte planen und dementsprechend eine Ladeinfrastruktur aufbauen, können diese über intelligente Software-Lösungen steuern. Dabei fließen Telematik- und Routendaten sowie Informationen zur Verfügbarkeit und dem Status einzelner Ladepunkte sowie der Netzauslastung in die Ladeplanung der Fahrzeuge ein. Anhand dieser Parameter steuert das System die Infrastruktur und Fahrzeuge so, dass Warte- und Standzeiten für Ladevorgänge genutzt und das Netz nicht überbeansprucht wird.

Mit Vehicle-to-Grid-Konzepten Strom zurückgeben

Einer Netzüberlastung können Flottenbetreiber auch aktiv entgegenwirken – indem sie Strom zurückgeben. Das funktioniert mit Vehicle-to-Grid-Konzepten (V2G). Lieferfahrzeuge sind zum Ende einer Schicht oder während unvermeidbarer Standzeiten nicht unbedingt entladen. Möglicherweise benötigen sie für die folgenden Aufträge nur eine eingeschränkte Reichweite. Je mehr Daten zu Ladeständen und dem Lieferbedarf vorliegen, desto besser lässt sich die Energienutzung planen. Ist in Batterien von Fahrzeugen „überflüssiger“ Strom vorhanden, kann er an das Netzt zurückgegeben werden. Bedenkt man, dass ein deutscher Durchschnittshaushalt im Schnitt 9,4 Kilowattstunden Strom pro Tag verbraucht und eine vollgeladene Batterie eines Lieferfahrzeugs bis zu 90 Kilowattstunden Strom liefern kann (je nach Modell): zeigt sich, dass selbst mit teilentladenen Batterien auf größere Flotten hochgerechnet gute Rückgabemengen in das Netz möglich sind.

Über die Ladetechnik lässt sich das Netz ebenfalls entlasten. Spediteure können beispielsweise ihre Infrastruktur an Logistik-Hubs vorwiegend mit AC-Ladestationen bestücken. Hochleistungs-Terminals für Schnellladungen sind kaum notwendig. Lieferfahrzeuge für die letzte Meile legen selten längere Strecken zurück. Es reicht häufig aus, sie zwischen Aufträgen teilweise zu laden. Nach Schichtende können sie außerdem über Nacht langsam vollständig geladen werden. Dadurch gestaltet sich die Netzbelastung gleichmäßiger. Plötzliche Lastspitzen kommen selten vor. Eine intelligente Lade-Lösung hilft auch hier dabei, dass die Flotte trotzdem zu jeder Zeit zuverlässig eingesetzt werden kann.

Der Spediteur wird zum Stromerzeuger, das Lieferfahrzeug zum Pufferspeicher

Auch abseits der Fahrzeuge gibt es Maßnahmen, die zur Netzstabilisierung beitragen. Zum Beispiel: selbst Strom erzeugen. Logistiker und Spediteure haben dafür gute Voraussetzungen. Sie betreiben Lagerhallen und haben häufig auch über Parkflächen viel Platz. Hallendächer sind prädestiniert für Solarpaneele. Auch für Freiflächen gibt es Lösungen, um dort Sonnenkollektoren anzubringen. V2G-Fahrzeuge lassen sich dabei als Pufferspeicher einsetzen. So muss der Strom nicht direkt ins Netz eingespeist werden, sondern bleibt vorerst in der Flotte.

Diese Maßnahmen sorgen dafür, dass die Elektrifizierung des Lieferverkehrs auch während Krisenzeiten keinen Rückschritt hinnehmen muss, sondern weiterwachsen kann. Allerdings ist es dazu notwendig, dass alle involvierten Stakeholder zusammenarbeiten und langfristig, holistisch planen. Gemeinsam können Flottenbetreiber, Ladeinfrastrukturanbieter und Netzbetreiber so mehr Nachhaltigkeit für die Gesellschaft schaffen.


Über den Autor: Ore Oluwatudimu, Manager Solutions Engineering Europe von ChargePoint

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