Die Automobilindustrie befindet sich in einem tiefgreifenden Strukturwandel. Gemeint ist vor allem der fundamentale Transformationsprozess weg vom klassischen Verbrenner hin zur Elektromobilität. Doch die weltweiten Ereignisse der letzten Jahre – insbesondere die Corona-Pandemie – haben der Autoindustrie ebenfalls zugesetzt und Schwächen beim klassischen Händler-Vertriebsmodell aufgezeigt. Zusätzlich spielt die fortschreitende Digitalisierung eine große Rolle. Schließlich müssen neue Vertriebskonzepte entwickelt werden, um die gesamte Branche krisensicherer zu machen – Zauberwort: Agenturvertrieb. Manche Hersteller setzen bereits darauf. Doch was bedeutet das eigentlich für die klassischen Vertragshändler?
Kleidung, Elektronik, sogar Lebensmittel – alles das und noch viel mehr können wir Endverbraucher bereits online “mit nur einem Klick” ordern. Kurze Zeit später trudeln die gewünschten Produkte auch schon zu Hause ein. Für uns Kunden ist das längst zur Normalität geworden, auch weil es so bequem ist. Sicherlich mag die Corona-Pandemie den Onlinehandel weiter befeuert haben, auch nach Abklingen der Pandemie. Die Digitalisierung hat uns fest im Griff und die Vorteile in Krisenzeiten deutlich gemacht: vor allem resistenter zu werden gegen äußere, bedrohliche Einflüsse.
Das Kundenverhalten hat sich binnen der letzten Jahre grundlegend verändert, weswegen Autoherstellern eigentlich gar keine andere Wahl bleibt, als ihr Vertriebsmodell zu überdenken und folglich auch zu ändern. Schließlich tun es andere “Big Player” schon lange. “Direktvertrieb” oder “Agenturmodell” lauten die neuen Zauberwörter. Diese bedeuten, dass der Händler nicht mehr wie bisher der eigentliche Verkäufer der Autos ist (wie beim klassischen Vertragshändler), sondern der Hersteller selbst. Händler treten damit “nur” noch als Vermittler auf, erhalten aber bei Verkauf eine Provision vom Hersteller. Dies birgt Vor-, aber auch Nachteile.
Wünschen sich Kunden den Online-Autokauf?
Tesla hat es vorgemacht, andere Hersteller ziehen nun nach: Das Auto bequem von der heimischen Couch zu konfigurieren und schließlich auch verbindend zu bestellen, ist en vogue. Doch während das Thema “Digitales Autogeschäft” hierzulande noch in den Kinderschuhen steckt, funktioniert es in anderen Teilen der Welt, vor allem China, bereits flächendeckend. Volkswagen hatte im April letzten Jahres verkündet, dass ausgewählte Modelle wie ID.3, ID.4 und ID.5 online als Neufahrzeug geleast werden können. So erklärte Klaus Zeller, damals noch Vorstand für Marketing, Vertrieb und After-Sales bei Volkswagen: “Rund zwei Drittel unserer Kundinnen und Kunden wünschen sich laut Umfragen, unsere Fahrzeuge auch online erwerben zu können.”
Vor allem die jüngere Generation sei bereit, alles online zu shoppen. Schlecht für die Vertragshändler? Bereits im Jahr 2020 hatte Volkswagen exemplarisch verkündet, dass alle Handelspartner den Verträgen zum neuen Vertriebsmodell für die Fahrzeuge der vollelektrischen ID.-Familie zugestimmt haben. Wirklich erfreut scheinen sie dennoch nicht zu sein, zumal die Wolfsburger einigen Händlern die Verträge gekündigt haben sollen. Wie das Handelsblatt berichtete, streiten jetzt einige der insgesamt 800 VW-, Audi-, Skoda- und Seat-Händler um bessere Konditionen, da die Provisionen des Direktvertriebs zu gering ausfallen würden. Immerhin sollen Service-Themen wie Kundenberatungen, Probefahrten, Auto-Auslieferungen und Werkstattbesuche Sache der Händler bleiben. Dabei könnte es durchaus passieren, dass verlorene Verkaufserlöse künftig mit höheren Servicepreisen seitens der Händler kompensiert werden.
In der gesamten Automobilbranche – und nicht nur bei Volkswagen – wird derzeit der Wechsel zum Agenturvertrieb diskutiert. Mit dem absehbaren Ende der Verbrennermodelle dürfte der Fahrzeugverkauf im Namen und auf Rechnung der Autohändler in einigen Jahren vollständig auslaufen. Damit dürfte auch das Feilschen um Rabatte beim örtlichen Händler des Vertrauens Geschichte sein, da die Hersteller die Preise vorgeben und die Hand darauf halten – gut für die einen, schlecht für die anderen, die etwa eine persönliche Nähe zu ihrem Verkäufer pflegten. Somit werden Fahrzeuge im Online-Direktvertrieb dann genauso viel kosten wie beim Händler vor Ort. Der Direktvertrieb schließt zwar auch zukünftig keine Rabatte aus, doch würden diese dann zu Lasten der Händler gehen, die Preisnachlässe mit einem Teil ihrer Provision tilgen würden. Dies wäre immer noch besser als gar kein Auto zu verkaufen.
Einige Hersteller zeigen bereits, dass das Agenturmodell funktionieren kann
Logischerweise geht es ums Geld. Um aus der Krise zu kommen, müssen die Autobauer sparen. Und da der Vertrieb mit gut einem Drittel den größten Anteil der Gesamtkosten eines Fahrzeuges ausmacht, ist das Sparpotential immens. Doch muss man auch sagen, dass diese Form des Auto-Verkaufs nicht nur Nachteile bietet. Vorteile sind eine absolute Preistransparenz, da Angebotsvergleiche wegfallen. Auch müssen Händler nun keine großen Summen mehr für Fahrzeugbestellungen aufnehmen und Risiken wie zu große oder zu kleine Fahrzeugbestellungen sind ebenfalls nicht mehr ihr Problem. Das hat auch einen deutlich geringeren administrativen Aufwand zur Folge. Zudem seien Händler, Hersteller sowie Kundinnen und Kunden enger miteinander vernetzt.
Schließlich kann der Hersteller auch besser auf Wünsche der Endverbraucher eingehen. Dass dieses Modell funktionieren kann, zeigt Tesla schon länger. Andere Hersteller, insbesondere aus China und vor allem Start-ups setzen bereits auf den Direkt- oder Onlinevertrieb. Dass es klappen kann, zeigt auch das Beispiel des von SAIC gekauften Traditionsherstellers MG in Europa – mit Erfolg. Über 15.600 Fahrzeuge konnte die direkt vertriebene Marke im Jahr 2022 laut Zulassungszahlen des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) absetzen, das Fünffache im Vergleich zum Vorjahr. Und auch die Zahl der MG-Partner stieg um etwa 25 Prozent auf 130 Servicepunkte.
“Handel entscheidend für den Erfolg der E-Mobilität”
Klar dürfte sein, dass die Transformation zur Elektromobilität und der Wandel des Vertriebsmodells das gesamte deutsche Kfz-Gewerbe vor große Herausforderungen stellt. In einem Interview mit der Automobilwoche erklärt der neue Chef des Lobbyverbandes Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK), Kurt Christian-Scheel, worauf es nun ankommt. Schließlich bleibe der (zufriedene) Kunde Schlüssel zum Erfolg: “Wir arbeiten alle am Ökosystem für individuelle Mobilität. (…) Wir haben unterschiedliche Rollen und es gibt naturgemäß Interessengegensätze. Diese gilt es fair zu lösen. Das gelingt, sofern ein gemeinsames Verständnis da ist: Der Kunde soll ein optimales Angebot bekommen.” Während unter Ex-Kanzlerin Angela Merkel ein Autogipfel mit dem Verband der Automobilindustrie (VDA) ins Leben gerufen wurde, um gemeinsame Interessen zu besprechen, scheint das Kfz-Gewerbe unter der rot-grün-roten Bundesregierung an Bedeutung verloren zu haben. Christian-Scheel räumt ein: “Der industrielle Fokus ist für Deutschland ja wichtig. Aber wenn wir in einem Ökosystem denken, muss weiter gedacht werden. Daran arbeiten wir: Das Kfz-Gewerbe und seine spezifischen Interessen stärker in der Politik sichtbar zu machen.”
Auf die Frage, warum gerade jetzt im Verlauf der Umstellung auf das Agentursystem die Politik dem Kfz-Gewerbe eine wichtigere Rolle beimessen sollte, findet der ZDK-Chef im Gespräch mit der Automobilwoche folgende Worte: “Das Kfz-Gewerbe verliert nicht an Bedeutung, im Gegenteil. Wenn die Elektrofahrzeuge zum Kunden kommen sollen, spielt der Handel eine entscheidende Rolle. Bislang ist der Markt durch die staatliche Förderung geprägt. Das ändert sich nun. Wenn die Politik bis 2030 einen Bestand von 15 Millionen reinen Elektroautos haben will, kommt es besonders auf den Handel an.” Weiter erklärt er, dass es darauf ankäme, technologieoffen zu bleiben. Es würden bei weitem die gemeinsamen Interessen überwiegen, zum Beispiel bei Fachkräften oder dem Ziel, das Auto in der Diskussion um die Mobilität der Zukunft nicht in ein schlechtes Licht rücken zu lassen.
Wir dürfen also gespannt sein, wie sich der Handel zukünftig auf die grundlegenden Veränderungen einstellen wird.