Jochen Sengpiehl, ehemaliger CMO von Volkswagen, sprach im OMR-Podcast mit Philipp Westermeyer über seine Karriere, seine Erfahrungen in China und die Zukunft der Automobilindustrie. Besonders die Elektromobilität stand dabei im Fokus. Sengpiehl war maßgeblich an der strategischen Neuausrichtung von Volkswagen beteiligt, insbesondere nach dem Dieselskandal. VW habe damals nicht nur eine Imagekorrektur gebraucht, sondern eine echte Neupositionierung. „Wir mussten Dinge anders machen. Wir brauchten einen radikalen Bruch.“
Unter dem Slogan „New Volkswagen“ wurde der Übergang zur Elektromobilität offensiv kommuniziert. Der ID.3 und später die gesamte ID-Familie standen im Zentrum dieses Wandels. Dabei sei es besonders herausfordernd gewesen, eine neue Markenstrategie für VW zu definieren, die sowohl technologische als auch emotionale Elemente berücksichtigt. „Das Schwierigste im Marketing ist, Unternehmensstrategie in Marketingstrategie umzusetzen – und das mutig mit Ideen.“
Ein Beispiel für mutige Kampagnen sei die Einführung des ID.Buzz, die mit einer Star Wars-Kooperation begleitet wurde. VW habe verstanden, dass Elektromobilität nicht nur technisch überzeugend sein müsse, sondern auch Begeisterung auslösen müsse. „Wenn du große Marken aufbauen willst, dann musst du auch etwas riskieren.“
Tesla: Vom Pionier zum Problemfall?
Auch der amerikanische Automobilhersteller Tesla war Thema im Podcast. Tesla hat in den vergangenen Jahren die Automobilindustrie geprägt wie kaum eine andere Marke. Sengpiehl räumt ein, dass Tesla mit seinem Ansatz, komplett ohne klassisches Marketing auszukommen, eine neue Ära eingeleitet habe. Doch dieser Erfolg basiere auf zwei zentralen Faktoren: „Tesla hatte lange keine Werbung nötig, weil das Produkt und der Popstar Elon Musk selbst die Marke getragen haben.“
Allerdings sieht er den einstigen Vorreiter der Elektromobilität mittlerweile in einer schwierigen Phase. Das Unternehmen hat es versäumt, seine Produktpalette weiterzuentwickeln: „Tesla hat viel zu wenig am Produkt gemacht. Das Design ist alt, es gab keine frische Produktaufwertung. Die Marke wurde ausgehöhlt.“ Das Model S sei seit über zehn Jahren nahezu unverändert, und auch beim Model 3 und Model Y sei das Grunddesign identisch geblieben.
Ein weiteres Problem sieht Sengpiehl in Musks öffentlichem Auftreten. Während Musk Tesla in den Anfangsjahren als visionärer Unternehmer und Innovator verkörperte, sei seine Präsenz inzwischen oft kontraproduktiv: „Ich kenne die Imagewerte – und die stehen nicht mehr gut zu dieser Person.“ Besonders in Europa scheinen Musks politische Äußerungen und kontroverse Entscheidungen dazu beizutragen, dass Tesla an Popularität verliert. Sengpiehl glaubt, dass dies einer der Gründe für den aktuellen Rückgang der Tesla-Zulassungen sei. „Das Produkt ist in die Jahre gekommen. Gleichzeitig tritt Musk inzwischen so auf, dass es viele Menschen abschreckt. Die Kombination ist problematisch.“
Gleichzeitig hebt er hervor, dass Tesla der Konkurrenz den Weg geebnet hat. Durch den frühen Erfolg habe Tesla bewiesen, dass Elektromobilität massentauglich sei – eine Lektion, die auch traditionelle Hersteller erst lernen mussten. Dennoch sieht er die Zukunft nicht zwangsläufig von Tesla dominiert: „Ich bin kein Tesla-Fan. Ich mag Li Auto, ich mag BYD. Aber ich mag nach wie vor die deutsche Autoindustrie.“
Chinesische Hersteller als neue Wettbewerber
Noch vor wenigen Jahren sei China für viele westliche Autobauer eine Blackbox gewesen, besonders während der Pandemie. VW habe erst 2023 auf der Shanghai Motor Show realisiert, wie weit die chinesischen Marken wirklich sind: „Als wir gesehen haben, was die dort ausstellen – die Designs, die Software, die Ladegeschwindigkeiten – da haben alle nur noch die Augen aufgerissen.“
Für Sengpiehl liegt der Erfolg der chinesischen Hersteller in ihrer Fokussierung auf die Kerntechnologien von Elektroautos: „Die wichtigsten Elemente eines E-Autos sind die Batterie, die Software und die Sensorik – und genau da haben wir in Europa große Schwächen.“ Während sich die deutsche Autoindustrie über Jahrzehnte auf den Verbrennungsmotor spezialisiert hat, hätten chinesische Hersteller die Batterietechnologie und Software früh zur Priorität gemacht. Dazu komme ein massiver staatlicher Eingriff in den Markt: „Die chinesische Regierung hat Milliarden investiert, um die eigene Industrie an die Spitze zu bringen.“ Dadurch könnten Hersteller wie BYD ihre Fahrzeuge zu deutlich günstigeren Preisen anbieten als europäische Konkurrenten. „Im Moment haben chinesische Autokonzerne Materialkosten, die 30 bis 40 Prozent niedriger sind als unsere.“
Trotz der aktuellen Herausforderungen ist Sengpiehl optimistisch, dass deutsche Automarken sich behaupten können. „Deutschland hat die geilsten Automarken – VW, Porsche, BMW, Mercedes. Aber wir müssen technologisch einen gewaltigen Sprung machen.“ Ein zentrales Problem sei die nachlassende Loyalität junger chinesischer Käufer: „Früher war ‚German Engineering‘ ein Statussymbol. Aber je jünger die Zielgruppe wird, desto weniger zählt das.“ Während europäische Autokäufer im Durchschnitt 56 Jahre alt seien, liege das Durchschnittsalter der Erstkäufer in China bei 34 Jahren – und 60 Prozent davon seien Erstkäufer, die keine nostalgische Verbindung zu deutschen Marken hätten.
Für einen Erfolg sei ein radikales Umdenken nötig: „Jetzt geht es um Technologie. Um Kosten. Um Geschwindigkeit. Und darum, ob wir bereit sind, wirklich disruptiv zu sein.“ Als Beispiel nennt Sengpiehl die Entwicklung von Software. Während Unternehmen wie Tesla, Nio oder BYD ihre Infotainment- und Autonomiefunktionen selbst entwickelten, sei Software bei deutschen Herstellern oft noch ein Problem: „Ohne moderne Software ist ein Elektroauto heute nicht konkurrenzfähig.“
Deutsche Autoindustrie muss Hand in Hand arbeiten
Sengpiehl sieht die Zukunft in einer engeren Zusammenarbeit innerhalb der Branche: „Die deutsche Autoindustrie muss sich zusammenraufen. Jetzt geht es nicht mehr um kartellrechtliche Grenzen – es geht darum, ob wir eine unserer Schlüsselbranchen retten.“ Er glaubt, dass die deutschen Hersteller diesen Sprung schaffen können, warnt aber davor, den Ernst der Lage zu unterschätzen: „Der Wettbewerbsvorsprung der Chinesen beträgt drei bis vier Jahre. Und das ist im Autogeschäft eine Ewigkeit.“
Wer noch tiefer in Sengpiehls Einschätzungen zur Zukunft der Elektromobilität, den Wettbewerb zwischen deutschen, chinesischen und amerikanischen Herstellern sowie seine persönlichen Erfahrungen eintauchen möchte, sollte unbedingt in die komplette Podcast-Folge bei OMR reinhören. Dort gibt es weitere spannende Insights und Hintergründe direkt aus erster Hand.
Quelle: OMR.com – Verhaftet nach Cannabiskonsum: Ex-VW-Topmanager über seine Zeit im China-Knast