In Sachen Klimaschutz stellt die Energie-Ökonomin Claudia Kemfert der Politik ein schlechtes Zeugnis aus. „Die Arbeit der schwarz-roten Bundesregierung reicht nicht aus„, sagt die Professorin in einem Interview mit der Ausburger Allgemeinen. Die Wissenschaftlerin leitet die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.
Grundsätzlich habe die Welt nicht genug getan, um den Klimawandel aufzuhalten, so Kemfert. Das Problem sei seit 40 Jahren bekannt. Mit Zielen allein erreiche man aber nichts. „Wir müssen endlich ins aktive Handeln kommen.“ Auch die CO2-Steuer in Deutschland sei ja nicht aus eigenem Antrieb erfolgt, sondern nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass die Lasten des Klimaschutzes nicht immer bloß künftigen Generationen aufgebürdet werden dürften.
Erster entscheidender Punkt ist nach Kemferts Ansicht eine Vervierfachung des jetzigen Ausbautempos bei erneuerbaren Energien. Dafür brauche Deutschland Solarenergie auf allen Dächern und mehr Windenergie – auch in Bayern. Neue Windräder seien zwar höher, könnten aber auch deutlich mehr Strom produzieren. Sie sollten an vorhandenen Standorten nicht nochmals komplizierte Genehmigungsverfahren durchlaufen müssen, fordert die Professorin. Das Energiesystem der Zukunft müsse flexibel, intelligent und dezentral sein.
Der zweite wichtige Punkt sei die Verkehrswende, so Kemfert. „Wir müssen Gleise bauen statt Straßen. Flankieren kann man dies mit einem Bündel an Maßnahmen, von der Pkw-Maut, einer Quote für Elektrofahrzeuge über ein Tempolimit auf Autobahnen bis hin zu höheren Diesel-Steuern.“ Und drittens gehöre zum Klimaschutz die Transformation der Industrie – etwa über grünen Wasserstoff. Insgesamt, so Kemfert, sei eine Vollversorgung Deutschlands mit erneuerbaren Energien möglich.
Fossile Energie werde sehr ineffizient genutzt, heißt es in dem Interview. Im Verbrennungsmotor gingen 60 bis 80 Prozent der Energie ungenutzt verloren. Mit Ökostrom im E-Auto, auf der Schiene oder mit Wärmepumpen erhöhe sich die Effizienz massiv. Aber eben nur dann. Kemfert: „Wenn wir dagegen davon träumen, alle Fahrzeuge und Heizungen im Land mit synthetischen Kraft- und Heizstoffen zu betreiben, die mithilfe von Ökostrom erzeugt wurden, dann kommen wir in der Tat zu einer Vervierfachung bis Versechsfachung des Strombedarfs. Das ist nicht sinnvoll und ökonomisch nicht effizient.“
Ein CO2-Preis allein könne den Umstieg nicht regeln, so die Professorin. Es werde eine starke Steuerung durch den Staat nötig sein. Ansonsten müssten der Preis bei 200 Euro pro Tonne CO2 liegen – aktuell sind es 25 Euro für Heiz- und Kraftstoffe. Die Benzinpreise würden dann um rund 50 Cent pro Liter steigen. „Die FDP suggeriert, dass ein CO2-Preis dem Klima hilft, dieser soll aber niedrig sein. Ein niedriger CO2-Preis entfaltet aber keine Lenkungswirkung.“
Zusätzlich fordert Kemfert einen Kohleausstieg bis 2030. Es gebe bislang aber nur wenige Politikerinnen und Politiker, die dies offen aussprächen. „Mit einem Kohleausstieg 2038 werden wir die eben vereinbarten Klimaziele nicht erreichen.“ Strom sei nach wie vor zu teuer, fossile Energie dagegen zu billig. Diese Unwucht müsse in einer Energiesteuer- und Abgabenreform beseitig werden – etwa durch die Senkung der EEG-Umlage.
Durch eine jährliche Klimaprämie pro Kopf ließen sich soziale Probleme vermeiden, so Kemfert. Damit ließe sich der CO2-Preis komplett zurückerstatten. Bei einem CO2-Preis von rund 80 Euro pro Tonne könnte man mit über 130 Euro pro Jahr und Empfänger rechnen. Zugute kommen würde das Geld vor allem den einkommensschwachen Haushalten, die am wenigsten Treibhausgase verursachen, aber die am meisten Leidtragenden sind. Die von der Bundesregierung beschlossene erhöhte Pendlerpauschale weiter zu erhöhen, bevorteile dagegen Empfängerinnen und Empfänger mittlerer und hoher Einkommen.
Quelle: Augsburger Allgemeine – „Die Welt hat nicht genug getan“