Der Elektro-Lkw eActros 600 von Mercedes wurde jüngst als vielversprechende Lösung zur CO2-Reduzierung im Fernverkehr vorgestellt. Allerdings kritisiert die Daimler-Truck-Vorständin Karin Radström in einem Interview mit der Automobilwoche den zu langsamen Ausbau der Ladeinfrastruktur. Ein Blick auf den Transportsektor und dessen Herausforderungen.
Erst vor wenigen Tagen hat Mercedes-Benz den batterieelektrischen Fernverkehrs-Lkw eActros 600 als Weltpremiere vorgestellt. Mit einer über 600 Kilowattstunden starken Batterie und einer effizienten Elektroantriebsachse erreiche der Lkw eine Reichweite von 500 Kilometern. Die Serienproduktion ist für Ende 2024 geplant, der Verkaufsstart erfolge noch in diesem Jahr. Der E-Lkw soll die Mehrheit der Diesel-Lkw langfristig ablösen, so der Wunsch des Herstellers. Mercedes-Benz plant den Aufbau einer Flotte von etwa 50 Prototypen, einige davon werden für Praxistests an erste Kunden ausgeliefert.
Karin Radström, seit zweieinhalb Jahren CEO von Mercedes-Benz Lkw, hob in Bezug auf die Premiere des eActros 600 hervor, dass jener ein bedeutsamer Schritt sei. Sie erklärte, dass der Start der Modelle eActros 300 und 400 bereits ein Meilenstein war, da damit die Serienproduktion elektrischer Lkw begonnen hatte. Dennoch betont sie, dass der eActros 600 eine andere Dimension für das Unternehmen darstelle. Dieses Modell bediene das größte Segment: die Langstrecke. Das Angebot richte sich an deutlich mehr Kunden als zuvor und markiere somit einen besonderen Tag in ihrer beruflichen Laufbahn.
E-Lkw: Anschaffung teurer, Unterhalt günstiger
Im Gespräch mit der Automobilwoche antwortet Radström auf die Frage nach einem möglichen Durchbruch des E-Antriebs dennoch zurückhaltend. Sie erklärt, dass es schwer vorherzusagen sei, ob und wann sich der E-Antrieb im Transportsektor durchsetzen werde. Ihrer Meinung nach hänge ein erfolgreicher Umstieg auf Elektroantriebe von drei wesentlichen Faktoren ab.
Erstens müsse es ein Produkt geben, das die Bedürfnisse der Kunden erfülle – in diesem Zusammenhang wies sie auf die Reichweite des eActros 600 von rund 500 Kilometern hin. Es sei zweitens entscheidend, dass die Kunden erkennen, dass es eine Kostenparität im Vergleich zu Diesel-Fahrzeugen gebe. Radström weist darauf hin, dass die Anschaffungskosten für einen eActros 600 zwar um den Faktor 2 bis 2,5 höher sein, die Betriebskosten jedoch, insbesondere in Deutschland, deutlich niedriger ausfallen. Dies sei auf Faktoren wie geringere Energiekosten und niedrigere Mautgebühren zurückzuführen. Sie prognostiziert, dass die Kostenparität in etwa fünf Jahren oder nach einer durchschnittlichen Laufleistung von 600.000 Kilometern erreicht werden könne, was aus Sicht vieler Anwendungsfälle den Umstieg auf Elektro-Lkw wirtschaftlich sinnvoll mache.
Weiter erklärt die CEO, dass der dritte entscheidende Faktor für den erfolgreichen Übergang zu elektrischen Lastwagen die Herausforderung des Ladens unterwegs sei. Das Aufladen im Depot mit eigenen Ladestationen sei zwar möglich, es bedürfe jedoch auch öffentliche Stromtankstellen, um den breiten Einsatz von Elektro-Lkw zu ermöglichen. Obwohl es Fortschritte bei der Einrichtung öffentlicher Ladepunkte gebe, könne dies aus ihrer Sicht schneller vorangehen. Radström glaubt, dass die Akzeptanz von Elektro-Lkw von allein kommen werde, sobald die notwendigen Voraussetzungen erfüllt sind.
Weiter teilt sie im Interview mit, dass Daimler Truck gemeinsam mit Traton und Volvo beschlossen habe, Vorleistungen zu erbringen, indem bis 2027 mindestens 1700 Ladepunkte entlang der europäischen Hauptverkehrsachsen schaffen werden. Dennoch sei laut ihr bis 2030 eine erheblich größere Anzahl von Ladepunkten – etwa 45.000 – erforderlich, um das angestrebte Tempo beim Übergang zu Elektromobilität zu erreichen. Sie unterstreicht, dass die Bemühungen auf EU-Ebene allein nicht ausreichten und dass die einzelnen Regierungen eine aktivere Rolle in der Förderung der Elektromobilität im Transportsektor einnehmen sollten. Dies sei von großer Bedeutung für die Dekarbonisierung, zumal der finanzielle Aufwand im Vergleich zu anderen Sektoren gering sei.
Auf die Frage nach den angestrebten Marktanteilen für elektrische Lkw äußert Radström, dass Daimler Truck geplant habe, bis zum Jahr 2030 bis zu 60 Prozent seiner Neufahrzeuge in Europa als batterieelektrische oder Brennstoffzellen-Lkw anzubieten. Exakte Vorhersagen seien aufgrund zahlreicher Einflussfaktoren, wie etwa der Entwicklung der Energiepreise, schwierig.
Die Infrastruktur ist ein entscheidender Faktor
Radström hebt hervor, dass der eActros 600 zunächst in ganz Europa eingeführt werde, bevor er in anderen Märkten von Mercedes-Benz Trucks weltweit startet, sofern dies für die Kunden sinnvoll sei. Sie zeigt sich optimistisch hinsichtlich der Nachfrage, besonders in Ländern, in denen staatliche Unterstützung für Elektromobilität vorhanden sei, wie beispielsweise Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden. Dabei weist sie auf die Bedeutung der Industriestrompreise hin und erklärte, dass viele Kunden, wie DB Schenker, in verschiedenen Ländern gleichzeitig tätig sind.
Der eActros werde in vielen Märkten weltweit vertrieben, mit Ausnahme der USA, Kanada und Russland. Die Plattform werde zwischen Mercedes-Benz Trucks und dem US-Unternehmen Freightliner geteilt, um Synergien zu schaffen. Dennoch gebe es keine Pläne, den eActros in die USA zu bringen, da er die regulatorischen Anforderungen und Kundenwünsche in diesem Markt nicht erfülle. In den USA sei Freightliner mit dem Cascadia, der auch mit elektrischem Antrieb verfügbar ist, bereits gut positioniert und habe einen Marktanteil von etwa 40 Prozent im Langstreckensegment.
Für die Einführung des eActros auf dem chinesischen Markt gebe es keine konkreten Pläne. Radström erklärt, dass der chinesische Markt sehr komplex sei und sich von Europa unterscheide. Daimler Truck sei derzeit dabei, eine Strategie zur Dekarbonisierung für die kommenden Jahre zu entwickeln, es gebe allerdings noch keine endgültigen Entscheidungen.
Die Infrastruktur ist ein zentraler Faktor
Die Infrastruktur sei nicht nur aus Kundensicht ein zentraler Faktor. Es gehe nicht nur um den Mangel an öffentlichen Ladestationen, sondern auch die Einrichtung von Stromtankstellen auf dem eigenen Gelände. Sie erwähnt, dass in Deutschland das Genehmigungsverfahren mit vielen beteiligten Akteuren wie Netzbetreibern und Energieversorgern oft zeitaufwändig sei.
Radström spricht auch über die Profitabilität des eActros und betont, dass Daimler Truck wettbewerbsfähige Kosten für die Entwicklung des elektrischen Lkw anstrebe. Der elektrische Antrieb sei teurer als herkömmliche Verbrennungsmotoren, jedoch erwarte das Unternehmen, vergleichbare Margen wie bei Diesel-Lkw zu erzielen. Die genaue Preisgestaltung hänge von Marktbedingungen, Förderungen und anderen Faktoren ab. Weitere Erkenntnisse würden am Ende des Jahres gewonnen, wenn der eActros in den Verkauf geht.
Auch spricht Radström im Interview über die geplanten Stückzahlen ab Ende 2024, wenn der E-Lkw in Serie gefertigt wird. Laut ihr erwarte man einen steilen Hochlauf, weil das Interesse der Kunden enorm sei. Gleichzeitig unterstreicht sie die Bedeutung dieses Segments für die CO2-Reduzierung von Flotten. Der Anteil elektrischer Lkw in Europa sei derzeit noch gering, werde jedoch in den kommenden Jahren zunehmen, ist sich die Managerin sicher.
Gehört die Zukunft des Transportsektors der Brennstoffzelle?
Schließlich erklärt Radström, dass Daimler Truck in die Entwicklung von Brennstoffzellenfahrzeugen investiert habe. Sie glaube, dass die Zukunft in einer Kombination aus Batterie- und Brennstoffzellentechnologie liege, wobei die Brennstoffzelle aufgrund ihrer größeren Reichweite, höheren Nutzlast und schnelleren Tankzeiten Vorteile biete. Die Infrastruktur sei jedoch der Schlüsselfaktor, um Elektrofahrzeuge, sei es batterie- oder wasserstoffbetrieben, erfolgreich zu etablieren. Auch wäre die Bereitstellung großer Mengen grüner Energie erforderlich.
Gerade diese sei nicht überall verfügbar, insbesondere entlang der Autobahnen, sagt Radström. Die Bereitstellung der letzten 25 Prozent der erforderlichen Infrastruktur erfordere einen enormen Aufwand, um die Netze für Ladepunkte zu stärken, die zukünftig teilweise im Megawatt-Leistungsbereich laden würden. Aus diesem Grund sei der zusätzliche Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur im Vergleich dazu kostengünstiger. Außerdem bräuchten auch andere Branchen wie die Stahlindustrie Wasserstoff.
Auf die Frage nach dem Zeitpunkt des Durchbruchs für Elektromobilität und Wasserstofftechnologie antwortet Radström, dass es sehr schwer sei, einen genauen Zeitpunkt zu nennen. Der Erfolg hänge maßgeblich von den Kosten für grünen Wasserstoff im Vergleich zu grünem Strom an den Tankstellen ab. Bereits kleine Preisveränderungen könnten erhebliche Auswirkungen auf den Markt haben.
Quellen: Automobilwoche – Daimler-Truck-Vorständin: Fehlende Infrastruktur gefährdet Klimaziele / Daimler Truck – Pressemitteilung vom 10.10.2023