Es war so etwas wie ein Versprechen. Damals, im Werbe-Auftakt der neuen Marke DS. Als Wegbereiterin sah sich die noble Tochter aus dem zu dieser Zeit noch PSA-Verbund, als Schrittmacherin, Bahnbrecherin, Neuerin. Stets auf der Suche nach Höherem – niemals einfach nur der Straße folgend. Und dann überholte sie sogar die Göttin…
Üblicherweise hat derlei Hochmut Folgen – doch im speziellen Fall mussten die Franzosen heiligen Zorn nicht fürchten. Es ist schließlich ihre Göttin. „La Déesse“. Jene Ikone auf Rädern, die vor 66 Jahren die Wagen-Welt in einen Taumel versetzte und neben der gewohnte Autos plötzlich wirkten, als seien sie mindestens von gestern.
Einst als „Distinctive Series“ bei Citroën eingeführt, bringt die mittlerweile selbstständige Marke mit dem DS 9 nun das dritte eigene Modell auf den Markt. Und es kommt dem großen Vorbild am nächsten. Nicht so sehr optisch – ganz sicher aber vom Anspruch. Edles auf fünf mal zwei Meter darf man durchaus Flaggschiff nennen. Und ein kühnes Projekt. Mit gerade mal 2773 in Deutschland verkauften Autos 2020 ist der Wettbewerb mit den etablierten Premium-Herstellern ja kein leichter – auch wenn man bei DS großen Wert darauf legt, „profitabel“ zu sein.
Umgeben von allerlei Zierrat thront man. Schallgedämmt, auf Wunsch in belüfteten und massierenden Sitzen – ahnend, dass es in diesem Fall wohl „wie Göttin in Frankreich“ heißen muss. Auch in zweiter Reihe hat’s dank 2,90 Meter Radstand üppig Platz vor 510 Litern Kofferraum. Wer sich ganz vorne wähnt, sitzt ja standesgemäß gerne hinten. Und kann auch hier genießen, was DS unter Premium versteht: Nicht zuvörderst Tempo und Funktionalität, sondern gepflegtes Fortkommen mit viel Liebe zum Detail und einem Hauch französischer Finesse.
Die reicht von kunstvoll graviertem Metall über Perlenstickerei bis zu aus einem Stück aufwändig gefälteltem Leder im Uhrenband-Design. Die Häute übrigens stammen von bayerischen Kühen. Makellos, weil es hoch oben auf der Alm weder Zäune noch Stechmücken gibt. Auf den ersten Blick alles bloß Kleinigkeiten, doch wo – Corona hin oder her – das Luxus-Segment stärker wächst als der Gesamtmarkt, ist das Besondere womöglich eine kluge Strategie.
Rund um den Kommandostand indes geht Design auch mal vor Funktion. Den Startknopf vermutet man spontan nicht mittig über dem Touchscreen, und die Spiegel-Verstellung versteckt sich links unter dem Lenkrad. Dennoch haben sie bei DS ihr Versprechen gehalten. Behutsam und mit großem Respekt, heißt es, wolle man das Erbe der Göttin wahren. Das gilt für Design wie Technik. In den Scheinwerfern schwenken je drei LED-Blöcke aus ihrer Ruheposition auf Kurs – eine Hommage an das dem Lenkeinschlag folgende Fernlicht der Déesse. Kult auch die Positionsleuchten, die den seinerzeitigen Tüten-Blinkern am Dach nachempfunden sind.
Unter der Haube geht es – noch – nicht ganz so opulent zu. In der Plug-In-Version „E-Tense“ tun sich zum Marktstart Ende August ein 1,6-Liter Vierzylinder (180 PS) und ein E-Motor (110 PS) zu 225 PS Systemleistung zusammen. Die Kooperation von Kolben und Wicklung erfolgt unauffällig und ohne weiteres Zutun. Nur unter Volllast knurrt der Benziner ein wenig, entfaltet seine Kraft dank Acht-Stufen-Wandler aber schön gleichmäßig.
Klüger ist selbstverständlich die rein elektrische Fahrt. Die geht bis Tempo 135 und maximal über 48 Kilometer – allerdings nicht in Kombination. Wer mit etwas Elan unterwegs sein will, sollte beim Radius eher mit guten 30 planen. Dynamik kostet eben Distanz – alle Batteriefahrer-Weisheit. Erfreulich: Dank des serienmäßigen 7,4-kW-Bordladers ist der 12-kWh-Akku an einer Wallbox in gut anderthalb Stunden wieder voll.
Eher behutsam erfolgt die Abkehr der Marke DS von Citroën beim Fahrwerk. Dessen zweiter Name könnte „Komfort“ sein. Trotz der bis zu 20 Zoll großen Räder. Gegen Aufpreis hilft sogar eine Kamera, der Straße Ungemach zu erfassen und gezielt zu dämpfen. Wer’s nicht ganz so sänftig schätzt, sollte den Wahlschalter besser auf Stellung „Sport“ arretieren. Optional späht der DS 9 per Nachtsicht-Funktion ins Dunkel, hält Abstand, Tempo und Spur und parkt ohne jedes Zutun.
Allerdings hat Pariser Chic immer auch seinen Preis. Der reine Verbrenner mit ebenfalls 225 PS startet bei 47.500 Euro, der E-Tense bei 52.810 Euro. Wem an mehr Fahrspaß und Sportlichkeit liegt, dem sei ein wenig Geduld empfohlen. Ende des Jahres kommt nicht bloß ein 250 PS starker DS 9 mit größerer Batterie und mehr Reichweite, sondern vor allem ein 360 PS starkes Allrad-Modell. Tiefergelegt, mit Bremsen aus dem Rennsport – aber eben auch mit Doppelherz.
Dafür ruft DS dann zwar mindestens 64.250 Euro auf – doch selbst in der Top-Ausstattung für 67.000 Euro ist das Gefährt noch voll förderfähig. Und: Man muss sich nicht sorgen, an jeder zweiten Kreuzung dem „Spirit of Avantgarde“ zu begegnen…