Die Zahl will Ferry Franz nicht in den Kopf: Fünfeinhalb Terawattstunden sauberer Strom gehen der Republik Jahr für Jahr verloren. Durch Stillstand. Physikalisch zuvörderst – aber auch politisch. Bei Sturm nämlich werden Windkraft-Anlagen gestoppt. Nicht etwa, um sie vor Schaden zu bewahren, sondern weil sie sonst zu viel Elektrizität einspeisen würden. „Würde man mit diesem Strom Wasserstoff erzeugen“, sagt der Direktor von Toyota Motor Europe, „könnten mehr als eine Million Mirai ein Jahr lang fahren.“
Dafür, dass endlich dieser Konjunktiv verschwindet, kämpft Franz mit anderen klugen Köpfen in der Nationalen Plattform zur Zukunft der Mobilität. Das Gremium berät die Bundesregierung. Ein schwieriger Job. Wer sich um den Antrieb von morgen Gedanken macht, hat mit der deutschen Politik seine liebe Not. Angefangen bei der Kanzlerin, die sich so gerne als eine des Klimas gibt, haben sich nahezu alle, die etwas zu sagen haben, ruckzuck auf das Akku-Auto geeinigt. Hauptsache schnell unter irgendwelchen Grenzwerten. Thema durch.
Erst langsam reift die Erkenntnis, Wasserstoff könnte womöglich die zukunftsträchtigere Art der Fortbewegung sein. Da muss man gar nicht die Endlichkeit von Rohstoffen bemühen – schon ein eisiger Winter zeigt die Grenzen der Akku-Technik. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und dessen Verkehrs-Kollege Andreas Scheuer (CSU) zählt Franz zu den Technologieoffenen, auch in VDA-Präsidentin Hildegard Müller hat das umweltfreundliche Gas eine mächtige Fürsprecherin – ebenso bei vielen Zulieferern. Doch für den Durchbruch auf breiter Front reicht das nicht. Noch nicht.
In Japan und Korea scheren sie sich derweil wenig um deutsche Politik. Auch bei Toyota bauen sie E-Fahrzeuge, mit und ohne Stecker – aber denken eben weiter. Seit fast 25 Jahren setzt der Konzern auch auf die Brennstoffzelle – und wurde für den Mirai längst nicht mehr so belächelt wie 1997 für den ersten Hybrid-Prius. Nur Hyundai treibt die Technologie ähnlich konsequent voran und hat mit dem Nexo mittlerweile ebenfalls die zweite Generation Wasserstoff-Auto im Angebot. Mercedes stieg nach dem halbherzigen Versuch des GLC F-Cell dagegen alsbald wieder aus.
Doch so sehr alle hierzulande die Batterie preisen – sie ist trotz technischer Fortschritte immer noch schwer, verschlingt massiv Rohstoffe, macht in der Folge politisch abhängig – und ganz sicher ist es keine Errungenschaft, wenn für sie Kinder im Kongo Kobalt aus der Erde kratzen. Nebenbei: Die von Deutschland ersehnte Position des Weltmarktführers haben bei der Akku-Technologie längst andere inne.
Beim Wasserstoff hingegen bestehen noch Chancen. Das im Überfluss vorhandene Gas enthält pro Kilo so viel Energie wie 3,3 Liter Diesel. Es erzeugt mit dem Sauerstoff der Luft Strom, treibt einen E-Motor im Wagen – und hinterlässt nichts als ein paar Tröpfchen harmloses H2O. Zapfen lässt sich wie gewohnt, es dauert nicht länger als beim Sprit, und eine Ladung reicht für 500 Kilometer und mehr. Kein Vergleich mit einem Akku-Auto, das womöglich schneller kraftlos wird, als man eine freie Ladesäule findet.
Doch die Technik hat – noch – ihren Preis. Das liegt am Platin in der Brennstoffzelle und an den geringen Stückzahlen der Autos. Der erste Mirai wurde quasi von Hand gebaut, erst mit der zweiten Generation kam so etwas wie Fließband-Produktion. Andererseits: Immer mehr Bürgermeister holten sich ein solches Modell in den städtischen Fuhrpark, sagt Franz. „Tolles Auto, zukunftweisend – und eben kein SUV.“ Davon könne ein Signal für die gesamte öffentliche Verwaltung ausgehen.
Und es gibt weitere Lichtblicke. Bosch steigt gemeinsam mit Powercell Sweden massiv in den Markt fĂĽr Brennstoffzellen ein. In Stuttgart glaubt man, dass in zehn Jahren an die 20 Prozent aller E-Autos weltweit mit Wasserstoff fahren werden. Den Durchbruch dĂĽrften die Nutzfahrzeuge bringen, deren CO2-AusstoĂź nach EU-Vorgaben bis 2025 um im Schnitt 15 Prozent sinken muss, bis 2030 um 30 Prozent. Daimler und Volvo testen hier bereits massiv. Und mit fallenden Kosten wird die Brennstoffzelle dann auch in Pkw vermehrt zum Einsatz kommen.
Das Hautproblem aber müssen rasch andere lösen: Das deutsche Tankstellen-Netz ist mit grobmaschig nicht böswillig beschrieben. Aktuell kommt Wasserstoff aus gerade mal 92 Zapfsäulen – es sollten laut diversen Ankündigungen längst sehr mehr sein. Ein Verbund aus Gas-Unternehmen und Autobauern plant mittlerweile an die 400 Säulen bis 2023. Selbst das wäre noch nicht einmal die Hälfte der 1000, die der Gas-Hersteller Linde für erforderlich hält.
Andererseits: Bei Kosten von rund einer Million Euro pro Zapfsäule beliefe sich die flächendeckende Investition auf eine Milliarde – ein Betrag, den der Staat in den Hochzeiten der Pandemie beinahe im Tages-Takt an staatlichen Hilfen ausreichte. Oder anders gerechnet: Allein durch den Verzicht auf einen einzigen Kilometer Autobahn-Bau irgendwo im Lande wären gleich Dutzende Tankstellen finanziert.
Und genau hier gleichen sich beide Technologien. Entscheidend sei nicht, ob es vier- oder fünftausend Euro Zuschuss zum Kauf eines Wasserstoff-Autos gebe, sagt Ferry Franz. Und auch die Subvention an der Zapfsäule spiele letztlich keine Rolle. „Die Sache steht und fällt mit der Infrastruktur.“ Aktuell wirbt er auf einer Deutschland-Tour dafür, dass in einem ersten Schritt jede deutsche Mittelstadt eine H2-Tankstelle sponsert. Schwerlastverkehr und Omnibusse könnten in der Startphase für eine tragfähige Auslastung sorgen. Zumal Wasserstoff in diesem Bereich nur 350 bar Druck erfordere – und damit anders als bei den 700 bar für Pkw keine teure Kühlung. Alles andere komme dann nach und nach.
Wer dagegen nur den Akku im Blick hat, verbaue sich womöglich Ziele in der Zukunft, glaubt Franz. Alles was rund um die Uhr Einsatz sei, komme an Wasserstoff kaum vorbei. Gerade im Bereich Logistik. E-Autos hätten deutlich längere Standzeiten – oder nähmen auf Dauer Schaden durch immerwährende Schnellladung.
Dass Wasserstoff gerne als „Champagner der Energiewende“ dargestellt wird, bringt nicht bloß Franz auf die Palme. Der Verein HyCologne etwa bemüht sich seit 2007 darum, den in der chemischen Industrie ohnehin als Nebenprodukt anfallenden Wasserstoff zu nutzen. Dieser müsse im Grunde auch als „grün“ eingestuft werden, sagt Vorstandschef Albrecht Möllmann. Schließlich werde keine zusätzliche Energie zur Gewinnung eingesetzt. Er sei „ein Geschenk, dass einfach nicht angenommen wird“.
Eine der Ursachen sieht Möllmann im „dogmatischen Kampf“ von VW für das Batterie-Auto. Dabei sei unter Fachleuten im Grunde unstreitig, dass Wasserstoff zumindest bei schweren Lasten und langen Strecken der Antrieb der Zukunft sei. Und das auch ohne immense Kosten. Allein im Raum Köln/Rheinland fielen pro Tag etwa 20 Tonnen Wasserstoff als Abfallprodukt an, so der HyCologne-Chef. „Das würde reichen, um die kompletten Bus-Flotten der Region zu betreiben.“
Es ist wie mit den Windrädern…