Lars-Peter Thiesen verantwortet beim Autohersteller Opel die Themen Wasserstoff und Brennstoffzelle. Er hat die Entwicklung des Brennstoffzellenantriebs in Deutschland seit den 1990ern an begleitet und mitgeprägt. In einem Interview mit der Autoren-Union Mobilität erklärt Thiesen anschaulich, woher der Wasserstoffantrieb seine Daseinsberechtigung erhält, und welche Themen noch eine Herausforderung darstellen.
„Es gibt im Wesentlichen drei Herausforderungen, vor denen wir noch stehen“, sagt Thiesen über die Gründe, warum der Wasserstoffantrieb noch ein Nischendasein fristet: Das erste sei die Tankstelleninfrastruktur. „Wir haben in Deutschland zwar ein weltweit einzigartiges System mit rund 100 Tankstellen, aber für Kunden, die komplett auf Wasserstoff setzen, sollte das Tankstellennetz weiter ausgebaut werden“, sagt er. Zweitens seien die Kosten für die Fahrzeugkomponenten noch relativ hoch, da die Stückzahlen „noch überschaubar sind“. Der Schlüssel zum Erfolg sei daher die Skalierung der Technologie, um die Kosten weiter zu reduzieren. Die dritte Herausforderung sei, „dass wir mittelfristig genügend ‚grünen‘, also nachhaltig und klimaneutral produzierten Wasserstoff brauchen.“
Nach mehr als 20 Jahren an Forschung und Entwicklung sei der Wasserstoffantrieb an einem spannenden Punkt angekommen: „Wir sind nicht mehr bei Demonstration, aber auch noch nicht bei Massenproduktion. Wir machen jetzt den Hochlauf“, sagt Thiesen. Hier seien aber die Stückzahlen noch relativ gering, und die Komponenten kosten noch viel. „Deshalb braucht es hier noch staatliche Unterstützung, um den Marktzutritt zu gewährleisten. Mit der Förderung, die komplett den Endkunden zugute kommt, können wir diesen dann entsprechend interessante Leasingraten anbieten“, so Thiesen weiter.
„Wir brauchen beide Technologien“
Die Existenz des Brennstoffzellenantriebs und die von rein batteriebetriebenen E-Autos sieht der Opel-Entwickler nicht als „Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch“. Für den Kunden und für die Unternehmen brauche es beides, die Technologien seien komplementär. „Ein Beispiel: Wir haben viele Kunden, in deren Betriebsmodell der Mitarbeiter das Auto mit nach Hause nimmt, z.B. bei Monteuren oder Servicetechnikern, wie etwa aktuell bei Miele, die den Vivaro-e Hydrogen im Einsatz haben“. Diese Mitarbeiter stehen demnach vor dem Problem, dass sie häufig kein Eigenheim haben und „schlichtweg nicht laden können“, so Thiesen. Das Auto parke auf der Straße und am nächsten Morgen fahren die Techniker wieder los. Hier brauche es das klassische Tankstellen-Modell. „Damit will ich sagen: Wenn wir in der Mobilität zukünftig 100 Prozent Null Emissionen wollen, dann gibt es viele Kunden, die batterieelektrisch nicht bedient werden können, aber sehr wohl mit der Brennstoffzelle. Deshalb brauchen wir beide Technologien, weil es gewerbliche Bereiche gibt, die nicht auf Basis von Batterieelektrik ihrem Geschäft nachgehen können.“
Generell sieht Thiesen hohen Bedarf an langstreckentauglichen Fahrzeugen für Gewerbekunden: „Wir wissen beispielsweise, dass 44 Prozent der Stellantis-Lieferwagenkunden täglich nicht weiter als 300 Kilometer fahren. Das heißt im Umkehrschluss aber, das 56 Prozent auch weiter fahren“, gibt er zu bedenken. Und gerade im gewerblichen Umfeld sei es wichtig, sich nicht lange an einer Ladestation aufhalten zu müssen. „Selbst wenn in absehbarer Zeit das Laden vielleicht schneller geht, kann es dann immer noch sein, dass viele Leute an der Ladesäule vor mir sind. Und da ist das Tanken von Wasserstoff in drei Minuten klar im Vorteil – so, wie wir das von den bisherigen Kraftstoffen kennen.“
Auch deshalb konzentriere sich Opel beim Thema Wasserstoffantrieb „im Moment erstmal auf das wichtige Segment der Lieferwagen“. In zwei Jahren soll es auch noch ein größeres Modell geben, kündigt Thiesen an. Dazu wolle der Hersteller die Produktionskapazität von aktuell 1000 auf dann 10.000 Autos in 2024 hochfahren. „Beim Pkw müssen wir sehen, wie sich der Markt und die Situation an sich entwickelt“, räumt der Manager ein. Denn es sei so: „Wenn ich die Zeit und die Möglichkeit habe und sich ein Windrad dreht, wenn ich laden will, dann ist es am sinnvollsten, die Energie batterieelektrisch zu nutzen“, so Thiesen. In punkto Praktikabilität aber gebe es Branchen, wo dies nicht möglich ist.
Entscheidend sei aber auch „das größere Bild: Wir werden in Zukunft viel, viel mehr erneuerbare Energie brauchen, weil Europa und die Welt sich das Ziel gesetzt hat, CO2-neutral zu werden“. Diese erneuerbare Energie könne aber nicht nur vor unserer Haustür gewonnen werden, sondern auch dort, wo es günstiger ist. „Beispielsweise in Australien, wo die Entstehungskosten für Windkraft ein bis zwei Cent pro Kilowattstunde betragen“. Das allerdings sei weit weg vom Ort des Verbrauchs und müsse irgendwie transportiert werden. Hier könne Wasserstoff als Speichermedium für erneuerbare Energien eine wichtige Rolle spielen.
Und wenn diese Energie erstmal per Elektrolyse in Wasserstoff umgewandelt wurde, „um sie speicherbar und transportfähig zu machen, dann ist es natürlich sinnvoll, den Wasserstoff auch gleich im Brennstoffzellenfahrzeug zu nutzen und nicht wieder zu verstromen, um damit ein Batterieauto zu laden“, erklärt Thiesen. Von daher sei etwa die Wirkungsgraddiskussion mit dem Tanken und Laden des einzelnen Autos viel zu eng gefasst. „Das große Bild muss man sehen und nicht das kleine, wie der Wirkungsgrad hier gerade vor meiner Haustür ausfällt.“
Quelle: MotorZeitung – „Viel zu kurz gesprungen, nur auf eine Technologie zu setzen“