Lang genug hat’s ja gedauert, dass ein deutscher Autohersteller einen Tesla-Konkurrenten auf die Räder stellt. Beispiel Volkswagen-Konzern: Lange stritt man sich, wer welche Elektro-Plattform bauen darf, Audi entschloss sich (wie Porsche) erst mal zum Alleingang und entwickelte den e-tron. Entwickelte lange und gründlich, während Tesla weiter davonfuhr. Auf der Zielgeraden, als der e-tron eigentlich schon fertig war, bremsten dann noch mal Software-Probleme den Serienstart.
Doch jetzt ist es soweit. Ab Anfang nächsten Jahres sollen die bislang 20.000 Vorbesteller ihr mindestens 80.000 Euro teures elektrisches Luxus-SUV bekommen. Und in Masdar City im Emirat Abu Dhabi stehen Testwagen für eine erste Fahrt über öffentliche Straßen und durch Gelände bereit. Masdar City ist eine Anlage, deren Energiebedarf ausschließlich regenerativ gedeckt wird, was, wie Audi findet, gut zum e-tron und seiner Fahr-Premiere für die Weltpresse passt. Außerdem ist das Wetter hier im Dezember viel besser als in Ingolstadt oder dem ungarischen Györ, wo das Akku-Pack gefertigt wird.
Nach einem eher diesigem Sonnenaufgang ist die Temperatur tatsächlich auf 28 Grad im Schatten hochgeschnellt, und in der Sonne glitzern die e-tron in vielen Farben. Das Design des SUV wirkt konventionell, nicht so avantgardistisch wie das eines Jaguar I-Pace und schon gar nicht eines Tesla Model X. Audi möchte seinen Käufern nicht zuviel Innovation bei Technik und Design auf einmal zumuten. Innen ist der Platzgewinn durch die beiden an den Achsen verbauten E-Motoren vor allem im Fond spürbar. Vorne hingegen prangt sogar ein, technisch natürlich überflüssiger, Kardantunnel mit Staufächern – weil, so ein Audi-Manager, „die Leute das eben so gewohnt sind“.
Auch der Fahrerplatz ist typisch à la Audi. Hinter dem Lenkrad das bekannte und bekanntermaßen sehr gute virtuelle Cockpit; daneben in der Mitte die beiden Touchscreens für Navi, Audi, Kommunikation und Vernetzung sowie die Klima-Automatik. Diese muss natürlich heftig schuften, weshalb das Reichweiten-Display beim Start statt der offiziell angegebenen über 400 Kilometer gemäß WLTP nur gut 300 anzeigt.
Kein riesiges Einzel-Display wie im Tesla also, im Grunde fühlt man sich nicht anders als in einem Audi A6. Allein das lautlose Losrollen zeigt, dass man in der Zukunft der Mobilität Platz genommen hat. Umso extravagantester wirken die schmalen Rück-Kameras an Stelle der Seitenspiegel, die ein helles, klares Bild in Displays in den Türen projizieren. Beim Spurwechsel dorthin zu blicken, ist zwar Gewöhnungssache, aber auch cool – sowas hat sonst noch kein anderes Auto.
Leise und smooth gleitet der e-tron über die geraden Straßen der Emirate. Die Beschleunigung begeistert elektrotypisch aus jedem Tempo, kurzzeitig entfacht die Boost-Funktion – abrufbar per Kickdown am rechten Pedal – die maximale Systemleistung von 300 kW (408 PS), und dann spurtet das SUV los wie ein konventioneller spritbetriebener Sportwagen. Das probiert man ein paarmal aus, dann rebellieren die Magennerven, die Passagiere an Bord sowieso; und man beschränkt sich darauf, die souveräne und entspannte Fahrt zu genießen. Erst ab Tempo 120 übertönt der Fahrtwind die leisen Abrollgeräusche der Reifen: das ist Reisen vom Feinsten.
Die Gesamtstrecke aus gefahrenen Kilometern und Restreichweite bleibt bei etwa 300 Kilometern, mal ein paar weniger, mal etwas mehr. Besonders stark schwankt der Wert naturgemäß bei einem Abstecher auf einen Gebirgspass.
Hier lässt sich gut die Rekuperation testen: Normalerweise auf „automatisch“ voreingestellt, lassen sich auch manuell über die Lenkrad-Paddel drei Stufen wählen, nämlich null, mittel, stark. Bei der Berg-Route empfiehlt sich natürlich letztere. Kräftig, aber nicht unangenehm heftig verzögert der Wagen dann beim Lösen des Strompedals. Nur selten zeigt die Diagnose-App, die zur Kontrolle auf einem Tablet mitläuft, rot: Dann nämlich, wenn die magnetische Rekuperations-Bremsung nicht mehr ausreicht, die hydraulische Bremse angreift und Energie thermisch vernichtet.
Auf den Energie-Konsum hat die gewählte Stufe kaum einen Einfluss; er pendelt sich bei ca. 30 kWh pro 100 Kilometer ein. Bei mitteleuropäischen Temperaturen dürfe er etwas geringer sein. Auf Off-Road-Passagen erhöht er sich logischerweise ein wenig. Audi hatte für die Präsentation ein eher leichtes Gelände mit Geröll- und Sandpassagen und moderaten Steigungen ausgewählt. Die meisterte der e-tron überaus souverän: Die direkte Lieferung des Drehmoments an jene Räder, die es gerade brauchen, toppt kein Sprit-Off-Roader.
Doch ob im Gelände oder auf der Straße: Zu den Super-Ökos unter den Strommobilen zählt der e-tron nicht. Seinen Energiebedarf kann er als erstes Serienauto immerhin an künftigen Gleichstromsäulen mit 150 Kilowatt Ladeleistung decken – etwa 40 Minuten dauert dann eine volle Ladung. Eine heimische Wallbox schafft das über Nacht, an der guten alte Schuko-Steckdose würde der e-tron zwei Tage und Nächte nuckeln.
Für die Testfahrten hat Audi eigens Schnelllade-Säulen am Zoo von Abu installiert, wo der Testfahrt-Tross einen Zwischenstopp einlegt. In Europa soll künftig das Ladenetz von Ionity, an dem auch Audi beteiligt ist, längere Routen ermöglichen. Kein Problem für den e-tron: Die Fahrt in Audis erstem Voll-Elektriker, das zeigte diese Testfahrt, wird auch nach mehreren Stunden nicht anstrengend. Lang hat’s also gedauert – aber das Ergebnis überzeugt.
Gastbeitrag von Marcus Efler für Elektroauto-News.net – Instagram.