Durch die Umstellung auf Elektroautos werden bis 2030 satte 410.000 Jobs in der Automobilindustrie wegfallen, fast jeder zweite Job bei Herstellern und Zulieferern. Mit diesem Schreckensszenario verunsicherte die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität (NPM) vor wenigen Wochen die ganze Branche. Wer den Bericht und die Hintergründe jedoch genauer betrachtet, dem kommen große Zweifel, wie Golem in einem aktuellen Beitrag ausführlich darstellt. Demnach habe der Großteil der drohenden Jobverluste in der Autobranche ganz andere Gründe.
Die Darstellung der NPM sei aus mehreren Gründen fragwürdig: Zum einen beziehen sich die Zahlen des NPM nicht nur auf die Autoindustrie, sondern sämtliche volkswirtschaftliche Sektoren. Außerdem zieht die NPM die Zahlen aus einem Was-wäre-wenn-das-Allerschlimmste-eintrifft-Extrem-Szenario auf Basis eines Top-Down-Ansatzes und veralteter Daten zur Importquote. Ein „unrealistischer Ansatz“, wie sogleich auch der VDA Einspruch widersprach, der größte Interessenverband der deutschen Autohersteller.
Bereits heute gibt es mehrere Produktionsstandorte für Elektroautos in Deutschland, weitere nehmen die Fertigung in Kürze auf, was trotz des Wandels hin zur E-Mobilität eine große Zahl Arbeitsplätze sichert. Ähnliches gilt für Batteriestandorte im Inland. Die deutschen Hersteller wollen bis 2023 ihr Angebot bei elektrifizierten Fahrzeugen auf über 150 E-Modelle verdreifachen. In alternative Antriebe und dabei vor allem in die Elektromobilität investieren die deutschen Hersteller und Zulieferer bis 2024 rund 50 Milliarden Euro.
Für realistischer hält der VDA deshalb die ebenfalls im Zwischenbericht erwähnte ELAB-Studie, die auf Basis eines Bottom-Up-Ansatzes die Aussage enthält, dass im Bereich des Antriebsstrangs mit einem Abbau von 79.000 bis 88.000 Stellen bis zum Jahr 2030 verbunden sein könnte. Allerdings gehe der größere Teil der Jobverluste auf den stetig steigenden Anteil der Automatisierung in der Produktion zurück. Nur 29.000 bis 43.000 dieser Stellen entfallen aufgrund des E-Motors. Grundsätzlich ist es jedoch richtig, dass ein Elektromotor mit nur gut 200 Einzelteilen einfacher zu bauen ist als ein Verbrennungsmotor, der rund 1400 Bauteile aufweist, und deshalb auch weniger Arbeitskräfte erfordert.
„Ich kann die destruktiven Aussagen nicht nachvollziehen“
Manuel Fechter, Geschäftsfeldleiter Automotive beim Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung, ist der Überzeugung, dass die Unternehmen dem drohenden Arbeitsplatzabbau entgegenwirken können, indem sie Mitarbeiter umschulen. Schließlich entstehen im Bereich der Elektromobilität auch viele neue Jobs, etwa in der Batterieproduktion. Bis zu 255.000 neue Stellen könnten bis 2030 entstehen, schätzt der Bundesverband E-Mobilität (BEM), etwa auch beim Aufbau und dem Betrieb der Ladeinfrastruktur. Hier seien vor allem Elektriker, Elektrotechniker, Monteure, IT- und Servicekräfte gefragt, sagt Verbandspräsident Kurt Sigl. Mit Blick auf das eigentliche Ziel der NPM habe der Zwischenbericht ihm die Stimme verschlagen, so Sigl laut Golem. „Es geht doch darum, Chancen aufzuzeigen. Da kann ich die destruktiven Aussagen nicht nachvollziehen“, so der Verbandschef.
„Rationalisierung durch Automatisierung gibt es in der Autoindustrie schon lange“, begründet Axel Schmidt, oberster Berater für den Bereich Automobil bei Accenture, den Wegfall von Arbeitsplätzen bei den Autoherstellern. Man müsse bedenken, dass die deutschen Autohersteller ihren Zenit der Beschäftigung überschritten haben, da der weltweite Autoabsatz erstmals stagniert. Mit 3,56 Millionen Stück wurden in Deutschland so wenig Autos wie zuletzt vor 22 Jahren gefertigt.
Die Wertschöpfung fließe nun „ins Ausland, vor allem nach Nordamerika und China“, sagt Schmidt. BMWs größtes Werk etwa steht in den USA in Spartanburg. Und immer mehr Hersteller bauen Autos für den riesigen chinesischen Markt, wo im Jahr mehr als 20 Millionen Fahrzeuge neu auf die Straßen kommen, direkt vor Ort. Es bringe auch nichts, stuar auf Altes zu beharren: „Der Trend zum Elektroauto ist unumkehrbar“, sagt Schmidt mit Blick auf die neuen, strengen CO2-Vorgaben der Europäischen Union. „Man kann sich dem Fortschritt nicht verweigern.“
Quelle: Golem — E-Autos sind nicht an allem schuld // VDA — Pressemitteilung vom 13.01.2020