Fahrbericht: Kia PV5 greift VW und Ford im Lieferverkehr an

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Wolfgang Gomoll
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  —  Lesedauer 6 min

Bulli, zieh den Bauch ein! Der Kia PV5 macht die Lücke im Lieferverkehr plötzlich sehr schmal: als Cargo-Kastenwagen oder Passenger-Shuttle, beide rein elektrisch und erstaunlich durchdacht. Spätestens jetzt schrillen in Hannover die Alarmglocken. Denn der Kia PV5 dreht mal eben das gesamte Segment der Kleinbusse und Kastenwagen auf links und lässt etablierte Konkurrenten wie den VW e-Transporter, den Ford E-Transit Custom oder den Opel Zafira Electric plötzlich sehr alt aussehen.

Warum? Weil die Koreaner es können – und vor allem, weil sie es wollen. Im Segment der elektrischen Kleinbusse und der leichten Nutzfahrzeuge winken weiterhin Profite. Deshalb nimmt die Zahl der ambitionierten Hersteller, die ihre „Blaumann“-Stromer anbieten, stetig zu. Ein Newcomer ist der Maxus eDeliver 5, und mit Flynt will sich ein weiterer Neuling bald Pfründe sichern. Der Kuchen wird also kleiner.

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Dem Kia PV5 fehlt der Retro-Charme des ID. Buzz. Um aus dieser Masse herauszustechen, muss man schon etwas Besonderes bieten. Genau das schafft Kia mit dem PV5, ohne sich zu verkünsteln: 4,70 Meter Länge, knapp drei Meter Radstand, Frontantrieb und zunächst zwei Batteriegrößen – fertig. Keine überbordende Angebotsvielfalt, sondern klar auf den Punkt. Das bedeutet 51,5 kWh oder 71,2 kWh (beide NMC-Akkus). Später kommen beim Cargo LFP-Energiespeicher mit 43,3 kWh hinzu. Dieses Modell ist für Kurzstrecken und den Stadteinsatz gedacht.

Auch bei der Leistung beschränken sich die Koreaner auf das Wesentliche: entweder 89 kW / 122 PS oder 120 kW / 163 PS, beide mit jeweils 250 Newtonmeter Drehmoment. Wir fahren die stärkere Passenger-Version mit großem Akku: von null auf 100 km/h in 10,6 Sekunden, Spitze 135 km/h. Ausreichend für einen Kleintransporter, denn eine höhere Geschwindigkeit würde die Batterie zu schnell leersaugen. Die Reichweite beträgt bei der großen Batterie bis 412 km (Passenger) beziehungsweise 416 km (Cargo).

Kia setzt auf 400-Volt-Plattform beim PV5

Apropos: Beim PV5 setzt Kia auf die 400-Volt Technik und daher auf eine überschaubare DC-Ladeleistung von 150 kW. Damit sind die Akkus in einer halben Stunde von zehn auf 80 Prozent gefüllt. Für die Cargo-Variante, die wohl meistens über Nacht im Depot Strom tankt, sicher ausreichend. Bei der Shuttle-Version könnte das schon etwas anders aussehen. An der Wallbox lädt der Kia PV5 mit 11 kW in 6:30 Stunden von zehn auf 100 Prozent. Der vielseitige Stromer steht auf der eigens entwickelten E-GMP.S-Plattform, die verschiedene Aufbauten ermöglicht.

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Angefangen vom klassischen Pritschenwagen bis hin zum Kasten mit 4,4 Kubikmetern Laderaum inklusive Kühlaggregat oder eben einem Passagiertransporter, der bis zu sieben Menschen Platz bietet. Bei der fünfsitzigen Version passen 1330 Liter in den Laderaum, klappt man die zweite Sitzreihe um und packt den PV5 bis unters Dach voll, sind es 3615 Liter. Die Koreaner haben bei der Konkurrenz genau hingeschaut und machen viel richtig. Allerdings ist die Anhängelast mit 750 Kilogramm (51,5 kWh) beziehungsweise 1500 kg (71,2 kWh) und die Zuladung mit 535 kg sowie 455 kg bei der getesteten Passenger-Version nicht überragend.

Zwar sitzt man vorne wie auf einer Konfirmandenbank, mit kurzer Beinauflage und wenig Seitenhalt. Das ist aber genau so gewollt und freut Paketboten. Wer täglich aus dem Auto rein- und rausspringt, braucht definitiv keine tiefe Sport-Carbonsitzschale. Schmale A-Säulen, eine niedrige Schulterlinie und viel Glas erleichtern die Übersicht und das Wuseln durch den hektischen Stadtverkehr. Der flache Boden der Elektroarchitektur und die Innenraumbreite von 1,73 Metern helfen, wenn zwei Personen vorne unterwegs sind.

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Das Cockpit lebt vom Stauraum: Fächer in Türen und Mittelkonsole, dazu kleine im Boden eingelassene Boxen. Die Oberflächen sind robust, aus Hartplastik – gut zu reinigen. Ein Frunk fürs Ladekabel fehlt; auch der Kia PV5 ist nicht vollkommen. Für die zweite Reihe gibt es eine Fußauflage. Verschiedene Sitzkonfigurationen sind möglich: klassisch 2-3 (fünfsitzig) oder 2-2-3 (siebensitzig). Zwei Schiebetüren erleichtern den Zugang, und für Rollstuhlfahrer bietet Kia eine seitliche Rampe, sodass sie vom Bürgersteig aus einsteigen können. Im nächsten Jahr folgen Crew Van sowie Cargo Standard; ein Jahr später ergänzt die Hochdachversion die Modellpalette.

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Das Cockpit mit dem 7,5-Zoll-Kombiinstrument und dem 12,9-Zoll-Touchscreen gleicht dem eines Pkw und lässt sich ebenso bedienen. Ein feines, aber wichtiges Detail: Kia nutzt nicht einfach gewöhnliche Pkw-Software, sondern ein Android-Automotive-basiertes Betriebssystem, das betriebsspezifische Apps zulässt – etwa maßgeschneiderte Flottensoftware oder Zustellsoftware. Updates kommen per OTA-Update (Over-the-Air), der Digitalschlüssel wandert auf das Smartphone. Praktisch im Arbeitsalltag sind die Vehicle-to-Load-Funktion (V2L, 3,6 kW) – für die Baustelle und den Grillabend – sowie die Rundumsichtkamera.

So fährt sich der Kia EV5 – erste Eindrücke

Auf der Straße setzt sich das Pkw-Gefühl fort. Die 120 kW / 163 PS und Frontantrieb klingen nicht nach Heldentat, reichen aber locker aus, um überall mitzuhalten. Der Antritt in 10,6 Sekunden von null auf 100 km/h entspannt im Stadtgetümmel. Drei Rekuperationsstufen plus das von uns bevorzugte Segeln lassen sich über die Wippen am Lenkrad dosieren. Im Stop-and-Go-Verkehr funktioniert das One-Pedal-Fahren problemlos. Die Federung ist eher komfortorientiert und filtert Querfugen ordentlich weg, lässt den Aufbau aber nachwippen. Das könnte sich ändern, wenn der Kleinbus voll besetzt ist. Bei unserer Testfahrt kamen wir auf einen Durchschnittsverbrauch von 18,9 kWh/100 km und unterboten somit die Werksangabe um 0,4 kWh/100 km.

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Das alles gibt es zu einem Kampfpreis, der die Konkurrenten schon aus der Latzhose haut. Den Kia PV5 Passenger gibt es ab 38.290 Euro, den Cargo ab 39.190 Euro – beide mit der 51,5-kWh-Batterie und 89 kW / 122 PS. Mit großem Akku und stärkerem Antrieb liegt der Cargo bei 43.805 Euro und der Passenger bei 42.290 Euro. Als wäre das nicht genug, legt der koreanische Autobauer noch sieben Jahre Herstellergarantie (bis 150.000 km) und acht Jahre Garantie auf die Hochvoltbatterie (bis 160.000 km) drauf. Als wollten sie in Seoul sagen: „Nehmt das, ihr Platzhirsche!“

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Die haben an dem Thronräuber schwer zu knabbern. Denn der Kia PV5 Passenger (71,2 kWh) unterbietet den Ford E-Transit Custom (68 kWh netto) als Kombi-Pkw aktuell um circa 17.000 Euro, den VW E-Transporter Kombi (63,8-kWh-Akku netto) um rund 20.000 Euro und den Opel Zafira Electric (75 kWh) um 11.000 Euro. Selbst der Maxus eDeliver 5, vollverglast (L2H1), kostet mindestens 48.778 Euro und hat eine 64-kWh-Batterie an Bord. Für Shuttle-Dienste und Logistiker, die mit jedem Cent kalkulieren, ist dieser Preisvorteil fast schon ein K.o.-Argument. Damit nicht genug: PV7 und PV9 sind bereits in Vorbereitung; auch PV3 sowie PV1 sind nicht ausgeschlossen – ganz im Gegenteil.

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Wolfgang Gomoll

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Wolfgang Gomoll beschäftigt sich mit dem Thema Elektromobilität und Elektroautos und verfasst für press:inform spannende Einblicke aus der E-Szene. Auf Elektroauto-News.net teilt er diese mit uns. Teils exklusiv!

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