Der Klimawandel ist sicherlich die größte Herausforderung der Menschheit in den kommenden Jahrzehnten. Durch das nahezu ungebremste Verbrennen von Kohle, Öl und Gas – zu großen Teilen zurückzuführen auf den Transportsektor – werde der Klimawandel zunehmend beschleunigt. „Um die individuelle Mobilität zu sichern, müssen wir den Verkehrssektor durch Elektrifizierung mit grüner Energie dekarbonisieren, was eine schnelle sektorübergreifende Arbeit und Abstimmung erfordert“, erklärte VW-Vorstandsvorsitzender Herbert Diess im Rahmen einer Keynote der Münchener Leitmesse „IAA New Mobility“ Anfang September.
Unsere Generation „sitzt jetzt an den Hebeln der Macht und kann den Wandel vorantreiben“, leitet der VW-Chef seinen Vortrag ein. Jene trage auch die Verantwortung dafür, dass künftige Generationen auf diesem Planeten in Frieden sowie sozialer und wirtschaftlicher Sicherheit leben können. Der Topmanager übt jedoch Kritik an der Vorgehensweise und spricht von inkonsequentem Handeln, da dem Klimawandel deutlich mehr entgegen gesetzt werden könne.
So seien bereits viele technische Konzepte einsatzbereit – die Politik müssen sie nur wollen und tatkräftig unterstützen. Dazu heißt es: „Ziel muss es sein, den verursachten Klimawandel zu begrenzen und dabei die Lebensqualität für alle Menschen weltweit zu erhalten oder zu verbessern“. 16 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen seien auf den Transportsektor zurückzuführen. Im Wesentlichen durch die Verbrennung von knapp zwei Dritteln des weltweiten Ölverbrauchs, aber auch durch die Herstellung der PKW, LKW und Schiffen, die für den Transport verwendet werden. Dazu zähle nicht nur der Personentransport, sondern auch der Individualverkehr mit Gütern, Schiffen und Flugzeugen. Diess gibt zu: „Volkswagen ist hier ein bedeutender Marktteilnehmer“. Und damit hat er auf jeden Fall recht: Volkswagen verkauft jährlich gut zehn Millionen Autos, dank der Übernahme von Navistar sei der Konzern nun auch der zweitgrößte LKW-Hersteller der Welt und 80 Prozent der Hochseeschiffe fahren mit Motoren von MAN.
„Der Transportsektor muss dekarbonisiert werden, ohne dass die Weltwirtschaft Schaden nimmt“
Diess, als Chef eines der größten Automobilkonzerne der Welt, möchte natürlich nicht, dass wir alle zu Fuß gehen: „Ein besonderes Anliegen ist es uns, dass wir für die Menschen die individuelle Mobilität, die Bewegungsfreiheit mit dem Auto, erhalten und diese erschwinglich bleibt“. Vor allem, weil es ein Grundbedürfnis des Menschen sei, beweglich zu sein. Die noch andauernde Corona-Pandemie hätte uns das allen mehr als deutlich gezeigt. Volkswagen habe es sich zum Hauptziel gemacht, so schnell wie möglich Co2-Emissionen zu reduzieren, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen – Stichwort: „Way to Zero“.
Damit gemeint ist nicht nur die schrittweise zunehmende Elektrifizierung von Autos und auch Nutzfahrzeugen: „Wir beginnen jetzt mit der Umstellung unserer Schiffsdieselmotoren von MAN ES auf Flüssig-Erdgas. Ein Vorläufer für die spätere Nutzung von synthetischen Kraftstoffen aus Wind- und Sonnenenergie„, gibt Diess bekannt. Und weiter: „Unsere Gesamt-Emissionen der Pkw und leichten Nutzfahrzeugflotte reduzieren wir bis 2030 um 30 Prozent im Vergleich zu 2018. Eine Verringerung um rund 14 Tonnen von rund 47 Tonnen pro Fahrzeug. Insbesondere durch die Elektrifizierung unserer Fahrzeugflotten. Im Jahr 2030 werden nahezu 70 Prozent unserer verkauften Autos in Europa elektrisch sein.“
Doch auch ein ID.3 habe heute immer noch einen CO2-Footprint über den Lebenszyklus von 27 Tonnen im europäischen Energiemix. Dieser setze sich wie folgt zusammen:
13,1 Tonnen entfallen auf die Umstellung auf Grünstrom im Werk sowie der Batteriezellfertigung, für die Nutzung und Wartung des ID.3 werden 13,9 Tonnen fällig. Herbert Diess ist sich sicher: „Durch das Laden mit Grünstrom kann dieser auf nahezu Null gebracht werden. In den meisten europäischen Ländern wie Norwegen, Schweden und der Schweiz fährt der ID.3 bereits mit Ökostrom.“
Vorrausetzung für eine Dekarbonisierung des Verkehrs sei die Verfügbarkeit von grünem Strom aus Sonne und Wind. Doch können die Kosten für die Dekarbonisierung hoch sein und von Sektor zu Sektor variieren. Besonders schwierig und teuer werde es demzufolge in Bereichen, die nicht so einfach elektrifiziert werden können. Dazu zählen etwa Hochtemperaturprozesse, die Stahl-, Zement-, und Chemieindustrie sowie die bereits genannte Luft- und Schifffahrt.
Ganz stolz zeigte sich der VW-Chef über das Stadt-eigene Kraftwerk, das als Blaupause verstanden werden darf: „Unser Kraftwerk in Wolfsburg produziert Strom für das Werk und Fernwärme für die Stadt Wolfsburg. Wir stellen es derzeit von Kohle auf Gas um. Das spart 1,5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr“. Das entspreche dem jährlichen Ausstoß von 870.000 Autos. Zudem arbeite die Konzernmarke MAN ES bereits an einer innovativen Technologie, mit der Fernwärme aus fossilen Kraftwerken ersetzt werden könne. Ein Pilotprojekt im dänischen Esbjerg bringe schon erste Erfolge: Eine Wärmepumpen-Anlage mit einer Heizleistung von 50 Mega-Watt soll jährlich rund 100.000 Einwohner mit rund 235.000 MWh Wärme versorgen. So würden jährlich weitere 100.000 Tonnen CO2 eingespart, was dem Ausstoß von 55.000 Autos gleich käme. Nicht zu vergessen sind allerdings unvermeidbare Restemissionen, für die es noch keine technischen oder wirtschaftlichen Lösungen gibt. Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen müsste weiteres CO2 aus der Atmosphäre entnommen werden – auch genannt „Carbon Capturing“, heißt es weiter.
Die CO2-Reduzierung sei ohne Reduktion des Lebensstandards möglich
„Der Fortschritt bei der Dekarbonisierung ist heute in einzelnen Volkswirtschaften sehr unterschiedlich“, wie Diess weiter erzählt. Nach seinen Angaben läge Deutschland bei 8,4 Tonnen CO2 pro Kopf, China bei etwa sieben Tonnen und die USA bei 16 Tonnen. Schweden gelte als Vorzeige-Land, weil sie besonders schnell auf eine CO2-freie Energieerzeugung umgestellt haben und einen hohen CO2-Preis eingeführt haben, was folglich zu einer Präferenzen-Verschiebung von Verbrauchern geführt habe. Der CO2-Ausstoß betrage hier nur 4,2 Tonnen pro Kopf, ohne dass der Lebensstandard beeinträchtigt würde. Und trotz dieser Maßnahmen ist es eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften in Europa.
Könnte Deutschland mittelfristig den CO2-Fußabdruck von rund 8,4 Tonnen auf drei bis vier Tonnen reduzieren, so würden die Kosten, um Klimaneutralität zu erreichen, nach Diess etwa 300 bis 400 Euro pro Jahr für das Capturing betragen, was umgerechnet etwa 1 Euro pro Tag für jeden Einwohner sei. Der Volkswagen-CEO hält dies für eine „kleine Summe“ im Vergleich zu den möglichen „Schreckenszenarien“, wenn wir nicht handeln würden. Das Problem seien aber weiterhin die weltweiten Subventionen in fossile Technologien, die zudem viel höher seien als die Investitionen in erneuerbare Energien. Die „zögerliche politische Umsteuerung bei den Subventionssystemen“ verlangsame den wirtschaftlichen Wandel. Diess ist sich sicher: „Die CO2-Reduzierung ist möglich, ohne dass wir unseren Lebensstandard aufgeben. Wir fliegen weiter in den Urlaub – vielleicht etwas teurer. (…) Und wir sind mobil – mit CO2-freien Autos und Flugzeugen mit synthetischen Kraftstoffen„. Ganze Ökosysteme können klimaneutral werden, wie einige weltweite Projekte bereits zeigen sollen.
Ein privat oder geschäftlich genutztes Auto ist heute eines der am schlechtesten ausgelasteten Güter der Welt – auch dieser Meinung ist der Konzern-Boss. Es werde durchschnittlich nur rund eine Stunde am Tag genutzt und stehe den Rest der Zeit nur herum. Das Problem: „Der Lebenszyklus ist dadurch sehr lang. Die Konsequenz: Wenig umweltfreundliche, veraltete Technologien werden zu lange im Straßenverkehr eingesetzt“. Eine verbesserte Nutzung würde den Wandel beschleunigen.
„Klimaschutz und Lebensqualität stellen keine Gegensätze dar“
Dazu ließ es sich Diess natürlich auch nicht nehmen, von einem seiner Lieblingsprojekte zu sprechen: elektrischen, autonom fahrende Robotaxis. So hatten die Wolfsburger auf der „New Auto Night“ des Volkswagen Konzerns am Vorabend der IAA den ID.Buzz AD (Autonomes Driving), siehe Bild, vorgestellt. Schaut man in die nahe Zukunft, soll seine Technik die Grundlage für autonomes Fahren sein. Robotaxis, die also wie von Geisterhand fahren werden, seien eine Art Heilsbringer, die den ganzen Tag ohne Pause fahren und mehr Menschen als heute auf einer Fahrt transportieren könnten. Das soll folglich auch zu einer hocheffizienten Nutzung mit weniger Autos und weniger Parkplätzen in den Städten führen. Darüber hinaus könne Carsharing die Nutzung auf etwa 2 Stunden pro Tag verdoppeln, was eine wesentliche Verbesserung der Nutzung sei und zur Reduzierung benötigter Parkplätze führe. „Der technologische Gamechanger wird der virtuelle Schlüssel auf Ihrem Smartphone sein, mit dem Sie rund um die Uhr einfachen Zugang zu einer großen Fahrzeugflotte haben. Eine Mehrzwecknutzung der Flotten mit nur einem Schlüssel kann die Auslastung der Autos im Vergleich zu heute um das Drei- oder Vierfache erhöhen“, fügt der Manager hinzu.
Wenn es also nach Herbert Diess geht, findet die Zukunft der Mobilität im besseren Einklang mit Natur und Umwelt statt. Sie werde nachhaltiger, komfortabler und sicherer. Erforderlich sei jedoch die Bereitschaft zum Wandel und ein gemeinsames Vorgehen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft beim Aufbau der Infrastrukturen. Instrumente wie die CO2-Bepreisung fördern Prozesse zum Aufbau von erneuerbaren Energien. Klimaschutz und Lebensqualität stellen keine Gegensätze dar, vor allem weil Klimaschutz günstiger sei als die Anpassung an den Klimawandel.
Doch auch, wenn Diess‘ Engagement sicherlich als löblich tituliert werden kann, zeigten sich Greenpeace-Aktivisten bei einer Konfrontation auf der IAA „not amused“. Sie warfen ihm vor, sein Dekarbonisierungspfad sei nicht mit dem angesprochenen 1,5-Grad-Ziel kompatibel. So stand auf Plakaten mit gefetteten V und W geschrieben: „Von Wegen Klimaschutz“. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, kann Herbert Diess die Anschuldigungen kaum nachvollziehen. Im Interview heißt es: „Es macht aus meiner Sicht keinen Sinn, dass wir im Mittelpunkt der Proteste stehen“. Volkswagen unternehme „große Anstrengungen“, den CO₂-Ausstoß zu reduzieren. Tatsächlich ist bekannt, dass der VW-Konzern in den nächsten Jahren hohe, zweistellige Milliardenbeträge in die Entwicklung von Elektroautos und die nachhaltigere Batterieproduktion investiert. Außerdem werde in Deutschland derzeit noch etwa ein Viertel des Stroms über die Verbrennung von Braunkohle erzeugt. „So gesehen käme die Umstellung auf die Elektromobilität sogar noch ‚zu früh'“, heißt es im SZ-Interview weiter.
Quellen: IAA New Mobility, LinkedIn, Süddeutsche Zeitung