Das chinesische E-Auto-Start-up Nio will in gut einem Jahr seine Fahrzeuge auch in Deutschland verkaufen. In Norwegen gibt es die Stromer von Nio bereits. Mit im Gepäck haben die Chinesen ihre Batterietauschstationen, wie Vizechef Hui Zhang, Nios Europachef, in einem Interview bestätigte. Der Zeit hat er zudem noch einige andere interessante Dinge über die Strategie des aufstrebenden E-Autoherstellers verraten.
Zhang bezeichnet seinen Arbeitgeber als einen „Weckruf für die deutsche Autoindustrie“, den man nicht unterschätzen dürfe: „Wir sind da – und wir könnten euch vielleicht irgendwann überholen“, sagt er selbstbewusst. Die Elektromobilität eröffne neue Chancen in der Automobilindustrie. „Es sind weniger Bauteile nötig als beim Verbrenner, das erleichtert den Einstieg“. Ein noch größerer Faktor sei die Digitalisierung, die dazu führe, dass Kunden „jetzt andere Ansprüche an Autohersteller“ haben, so Zhang: „Sie wollen im Auto so selbstverständlich erreichbar sein wie im Büro und zu Hause. Auch die Entwicklung hin zum autonomen Fahren unterstützt, dass sich neue Anbieter einen Platz erobern in der Branche“, neben Nio nennt Zhang andere Unternehmen wie Apple oder den chinesischen Smartphone-Hersteller Xiaomi. Die Menschen seien „heute offener für neue Marken als früher“.
Dem US-Unternehmen Tesla, das auf dem Feld der Elektromobilität wichtige Pionierarbeit geleistet habe, sei Nio in Dankbarkeit und Respekt verbunden. Auch Volkswagen hebt Zhang lobend hervor: „Wir begrüßen den Beitrag, den VW zur Verbreitung der Elektromobilität leistet“, sagt er. Denn „je mehr Kunden schon mal ein E-Auto gekauft haben, desto leichter wird das Geschäft für alle im Markt.“
„Die Zeiten haben sich geändert“
Nio sei bewusst, dass Kunden in Europa und China unterschiedlich ticken: Chinesischen Kunden etwa seien digitale Angebote viel wichtiger, „sie wollen zum Beispiel soziale Netzwerke wie WeChat im Auto nutzen können“ und seien „offener, Funktionen des autonomen Fahrens auszuprobieren“. Chinesische Kunden legen Nios Europachef zufolge auch „sehr viel Wert auf das Design des Fahrzeugs, innen und außen“. Europäer hingegen „legen besonderen Wert auf Zuverlässigkeit“. Dabei gehe „es um die Qualität des Produkts, aber auch um die Verlässlichkeit der Marke: dass es die Firma in vielen Jahren noch geben wird, wenn ich mal eine Reparatur und Ersatzteile brauche.“
Für Nio sei es nun wichtig, „Kernkunden“ zu gewinnen, um sich in Europa etablieren zu können. „Vielleicht nur 10.000 Menschen“ könnten ausreichend sein, um den Tipping-Point zu erreichen. „Wenn die zufrieden sind, teilen sie das heutzutage schnell mit der ganzen Welt“, sagt Zhang. Dass chinesische Produkte minderwertig sein sollen, findet der Manager nicht. „Die Zeiten haben sich geändert“, sagt er. Chinesische Smartphones seien zum Beispiel auf dem europäischen Markt schon etabliert und erlauben es, „sich ein Bild von der Qualität chinesischer Produkte“ zu machen. Nio sei „eine Premiummarke mit weltweit erstklassigen Partnern. Hochwertige Software und Hardware überzeugen unsere Kunden in China“, so Zhang. E-Autos von Nio seien in ihrem Heimatland „deutlich teurer als ein vergleichbarer Tesla“. Aber nicht minder beliebt.
„Den Akku zu tauschen geht noch schneller als tanken“
Akkuwechselstationen, (noch) ein Alleinstellungsmerkmal von Nio, sollen bald auch in Europa aufgebaut werden. „Wir bauen gerade die erste Station in Lier bei Oslo“, sagt Zhang. Bis Jahresende sollen drei weitere im Großraum Oslo folgen. In China hat Nio bereits mehr als 500 Tauschstationen aufgebaut, bis Jahresende sollen es 700 sein. „Die meisten befinden sich in den Städten und entlang der beliebtesten Autobahnen“, erklärt Zhang. Umgerechnet 25 Euro koste es, einen leeren gegen einen vollen Akku zu tauschen. Die meisten Kunden laden aber zu Hause, so der Manager, und die Tauschstationen werden demnach vor allem von Menschen in Städten genutzt, „die keinen eigenen Parkplatz mit Ladestation zu Hause haben“. Die meisten Kunden, die regelmäßig den Akku wechseln, machen das im Schnitt „alle zwei Wochen, je nachdem, wie weit sie pendeln“.
Auch für weitere Strecken sei die Möglichkeit attraktiv, den Akku innerhalb weniger Minuten zu wechseln. Dafür hat Nio in China auch entlang wichtiger Autobahnrouten Wechselstationen aufgebaut. Dort komme es zwar zu Stoßzeiten auch mal zu Schlangen, räumt Zhang an. „An den Tankstellen waren die Schlangen aber länger als bei unseren Tauschstationen“, so der Manager, und den Akku zu tauschen gehe sogar „noch schneller als tanken“. Neben Nio arbeiten Zhang zufolge einige weitere chinesische E-Auto-Hersteller an Tauschakkus, „darunter SAIC, der größte staatliche Autohersteller in China, und Geely, der größte private Hersteller“. Und Nio als Pionier habe einen Standard gesetzt, den nun auch die chinesische Regierung als Vorlage für ihre Regularien übernommen habe.
Quelle: Die Zeit – „Akku tauschen geht noch schneller als tanken“