Audi präsentiert zur IAA 2021 die Studie Grandsphere Concept – seines Zeichens das zweite Fahrzeug von drei „Sphere“-Concept Cars nach der erst vor kurzen vorgestellten Studie „Skysphere Concept“ und vor dem erwarteten Urbansphere, der voraussichtlich Anfang 2022 vorgestellt wird. Elektroauto-News.net durfte bereits einen Blick aufs und ins Fahrzeug werfen und sprach mit dem Audi-Designchef Marc Lichte sowie Markenstratege Philipp Gündert.
Während der Skysphere eher als Vision zu verstehen ist und der Fantasie der Entwickler freien Lauf gelassen wurde, wird dem Grandsphere eine besondere Rolle zu Teil: „Viele der hier zusammen geführten Technologien und auch Designfeatures werden sich nämlich binnen weniger Jahre in künftigen Serien-Audi wiederfinden“, erklärt uns Lichte. Dazu zähle auch das automatisierte Fahren auf Level 4 – dazu gleich mehr. Jedenfalls soll die Limousine „zu 80 Prozent“ bereits im Jahr 2025 genau so zum Kunden rollen – natürlich rein elektrisch und auf der 800-Volt-Technik basierend, wie es bereits ein Audi E-Tron GT oder der Porsche Taycan tun. Das bedeutet auch, dass die Luxus-Limousine, basierend auf der Premium Plattform Electric, kurz PPE, auch mit 270 kW Ladeleistung geladen werden kann. Schnelle Laden sei besonders wichtig, weil der 120-kWh-Akku im Fahrzeugboden nicht gerade klein ausfallen wird. Zudem generieren zwei E-Maschinen, jeweils eine an Vorder- und Hinterachse (Quattro 2.0), bis zu 720 PS und 960 Newtonmeter. Darüber hinaus verspricht Audi eine realistische Reichweite von 750 Kilometern nach WLTP, dem auch ein besonders cW-effiziente Windkanal-Design dienlich ist. Ein Aktivfahrwerk samt Luftfederung sorge dabei für „himmlischen“ Komfort auf der Langstrecke. Das sei vor allem wichtig, weil der Innenraum des Grandsphere „(…) zum dritten Lebensraum wird – nach dem Arbeitsplatz und dem eigenen Zuhause“, fügt der Audi-Designer hinzu.
Designprozess von innen nach außen
Nicht mehr der Antrieb und nicht mehr die Fahrdynamik hat dann Priorität im Entwicklungsprozess von neuen Audi-Modellen, sondern der Innenraum, um den das fertige Auto konzipiert wird. Erst danach werden Package, Exterieur-Linien und Proportionen entworfen. Das scheint beim Grandsphere hervorragend geklappt zu haben. Neben seiner schieren Größe wirkt er auf uns nicht übermächtig, was auch an den „weichen, fließenden Formen“ liegt. Mächtige Abmessungen von 5,35 Meter Länge, 2 Metern Breite und nur 1,39 Meter Höhe bilden das hinreißende Exterieurdesign, das mit einem extrem langen Radstand von 3,19 Meter sogar die Langversion des A8 in den Schatten stellt. Groß fallen auch die Räder aus: Mit bis zu 23 Zoll ziehen sie alle Blicke auf sich und erinnern an den Audi Avus der 90er-Jahre. Gerade im Frontbereich setzt er die spezifischen Bedingungen des E-Antriebs konsequent in typische Proportionen um – einen kurzen Überhang, eine flache Haube und die weit nach vorn ragende Frontscheibe als vordere Begrenzung des großen Innenraums. Im Heckbereich setzt sich diese Linie auf gleicher Höhe über dem hinteren Radhaus fort. Beleuchtete Marken-Logos runden das futuristische Design ab und werden je nach Markt auch so umgesetzt, verspricht Lichte.
Apropos Licht(e): Im Frontbereich gibt es eine neuartige Interpretation des Audi-Markengesichts Singleframe: Die Innenflächen, hinter einer transparenten Abdeckung liegend, werden im Fahrbetrieb indirekt von oben angeleuchtet – dies sei ebenfalls nicht nur einfach als Showeffekt zu verstehen. Ähnliche Umsetzungen kennen wir unter anderem bereits vom Skoda Enya iV. Über dem Singelframe thronen flache Scheinwerfereinheiten, die eine Leuchtgrafik im Stile einer menschlichen Pupille beinhalten – die Ingolstädter nennen diese „Audi Eye“. Sie wurden aus dem Schnitt zweier Markenringe gestylt. Dabei fungieren die Leuchtflächen je nach Funktion als Tagfahrlicht oder als dynamisch inszenierter Blinker. „Ab sofort folgt die langsame, schrittweise Einführung als zukünftiges, neues Marken-Erkennungsmerkmal“, heißt es weiter.
Der Chef nimmt nun vorne Platz
Die Türen des Audi Grandsphere Concept öffnen und schließen gegenläufig, landläufig auch bekannt als „Suicide Doors“. So eröffnet sich den Passagieren schon beim Einsteigen die gesamte Weite des nachhaltig gestalteten Innenraums, in den wir sogar eine Zimmerpflanze vorfinden konnten. Jenes Gefühl von Weitläufigkeit wird von den großen Glasflächen samt transparentem Glasdach und markant abgewinkelten Seitenfenstern im Innern unterstrichen. „Das hier ist der größte Innenraum, den ich je designen durfte“, freut sich Lichte. Glauben Sie uns: Auch hier würde ein Audi A8 vor Scham im Boden versinken!
Doch zuvor hat uns der Audi Grandsphere bereits mittels Gangerkennung – ein innovatives Feature – identifiziert, die Türen geöffnet und mit einer individuellen Inszenierung der Anzeigen und des Ambientelichts begrüßt. Denn Fahrer- und Beifahrerposition werden vom Grandsphere automatisch erkannt und zahlreiche persönliche Komfortfeatures, – etwa die Einstellung der Klimaanlage und der Sitze – für den jeweiligen Sitzplatz eingestellt. Ebenso greift das Infotainment die zuletzt genutzten Services der Passagiere auf und führt den Dienst nahtlos im Fahrzeug fort. So kann etwa für den Beifahrer das eben noch am Tablet gestreamte Video automatisch über seine Anzeigefläche im Audi Grandsphere weiter abgespielt werden.
Dabei erfolgt die Anzeige weder auf Batterien von Rundinstrumenten, noch auf zahlreichen Bildschirmen. Sondern via Projektion auf Flächen, die aus nachhaltigen Materialen hergestellt worden sein sollen – etwa Holz aus nachhaltigem Anbau. Getreu des Nachhaltigkeits-Gedankens wird es im Grandsphere übrigens auch kein echtes Leder geben. Alternativ lassen sich – im automatisierten Fahrmodus – die Projektionsfläche auch als Cinemascope-Bildschirm für Infotainment-Inhalte nutzen, oder auch als Screen bei Videokonferenzen. Zusätzlich ist für das schnelle Umschalten von Inhalten – etwa von Musik zur Navigation – unterhalb der Projektionsfläche eine Sensor Bar integriert. Diese zeigt alle Funktionen und Applikationen an, die im Auto aktiv sind. Icons für die jeweiligen Menüs leuchten dabei auf. Ein neues Bedienelement finden wir nahe dem Türausschnitt an der Innenverkleidung: das sogenannte „MMI touchless response“, das einen Ausblick auf die zukünftige Audi-Bedienung geben soll. Sitzt der Fahrer in der aktiven Position hinter dem Lenkrad kann er mit diesem Element per Drehring und Tasten haptisch diverse Funktionsmenüs anwählen und sich durch die jeweiligen Ebenen klicken.
Zudem kommen Blick-Detektion und Gestensteuerung zum Einsatz: Marc Lichte macht’s vor: „Ein aufs Auge gerichteter Sensor erkennt an der Blickrichtung, wenn die Bedieneinheit zum Einsatz kommen soll. Und wir müssen nur noch analoge Handbewegungen auszuführen – ohne Berührung.“ Für alle Bedienmodi – Eyetracking, Gesten- oder Sprachsteuerung, Handschrifteingabe und Berührung – gilt: Der Greandsphere stellt sich auf die jeweiligen Nutzer ein und lernt deren Präferenzen sowie häufig genutzte Menüs. Folglich werde der Wagen mitdenken und auch selbst dem Nutzer individuelle Vorschläge machen können.
„Blaupause für Level-4-Fahrzeuge“
„Dieses Konzeptfahrzeug ist schon ganz nah an der Realität und gilt schon jetzt als Blaupause für selbst fahrende Fahrzeuge“, so Lichte weiter. Dass der Stromer damit auch das automatisierte Fahren auf Level 4 in den Alltag bringen soll, klingt spannend. Denn das System kann die komplette Fahrzeugführung übernehmen, so dass sich die Passagiere zurücklehnen können – auf Hightech-Sitzen, die eine Lehnenverstellung von bis zu 60 Grad zulassen. Je nach Markt und länderspezifischen Gesetzen sei eine Umsetzung nicht unrealistisch. Wie aus anderen Meldungen seitens des VW-Konzerns hervorgeht, wird bereits energisch an einer Umsetzung für die zweite Jahrzehnthälfte gearbeitet.
Philipp Gündert, zuständig für die Audi-Markenstrategie, sieht das als Aufgabe und Chance, die Marke Audi neu zu positionieren: „Das Nutzungsverhalten von Autos wird sich verändern – die bisherige Zeit hinter dem Steuer wird dann als Erlebnis gestaltet. Getreu dem Motto: Drivetime wird zur Freetime.„ Wer auf dem Fahrersitz Platz nimmt, kann zwar noch immer das Steuer selbst übernehmen, wo Level-4-Fahren nicht möglich sein wird, dennoch liege der Fokus auf dem „gefahren werden“. Das Cockpit der Luxus-Limo kann sich folglich auf Knopfdruck in eine fahrende Lounge verwandeln. Das Lenkrad verschwindet hinter einer Luke, die Pedanterie fährt ein und fahrrelevante Anzeigen erlöschen. Der Grandsphere wird somit zum „Experience Device“, wie Gündert sagt.
Alle Insassen werden Teil von individuell gestaltbaren Erlebnissen: zur Kommunikation oder Entspannung, zu Arbeitszwecken oder einfach als privater Raum. Audi-eigene Infotainment-Services sowie die Integration von Streaming-Diensten in den Bereichen Musik und Video sollen das Reisen so bequem wie in einer „First Class Lounge“ machen. Finden lassen sollen sich zukünftig auch VR-Brillen, die sich in Verbindung mit Optionen des Infotainments nutzen lassen – etwa für das Holoride-System. Jenes durften wir bereits in einem E-Tron spielerisch ausprobieren. Live-Fahrzeugdaten werden während der Fahrt auf die Brille übertragen und bringen aktive Bewegungen in das Spiel – in unserem Fall echte Lenkbewegungen in ein Raumschiff. Und tatsächlich ist diese Form der virtuellen Realität bereits in der Mache und soll schon bald für ausgewählte Audi-Modelle bestellbar sein. Dann geben die Kinder vielleicht auch auf längeren Fahrten Ruhe (Augenzwinker) …
Zu viel des Guten? Entscheiden Sie selbst. So oder so war es für uns faszinierend zu sehen, welchen Weg Audi einschlägt. Jetzt freuen wir uns aber erstmal auf den bevorstehenden Urbansphere (2022) und dann auf das Jahr 2025. Denn da soll er ja dann in sehr ähnlicher Fassung auf den Markt kommen, der Grandsphere.