Manchmal ist das Leben als Nischenhersteller gar nicht so übel. Man muss nicht auf den Geschmack der Masse starren, genießt Freiheiten bei Design und Technik – und mit Volvo und dem chinesischen Konzern Geely im Rücken gehen einem auch so schnell die Halbleiter nicht aus. Bei Polestar jedenfalls scheinen sie mit ihrer Rolle als gehobener Elektro-Anbieter höchst zufrieden. Und mit dem Ergebnis auch. Rund 3000 verkaufte Autos hierzulande bedeuten immerhin mehr als eine Verdoppelung des Absatzes von 2020. Auch das ist ein Vorteil eher kleiner Zahlen.
Nachteil der Premium-Strategie: Die Nordmänner müssen Marktanteile vorrangig denen abjagen, die im Wappen Stern, Ringe oder Weiß-Blau tragen. Zwar bietet das 4,60 Meter lange Auftakt-Modell Allradantrieb, mehr als 400 PS und ein Maximaltempo jenseits der 200, liegt aber mit mindestens 51.000 Euro (ohne Abzug der Förderung) eben auch preislich im erhöhten Bereich. Allerdings erwirbt man für das Geld auch einen echten Hingucker.
Mit den beiden Single-Motor-Versionen soll der Einstieg in den Polestar 2 nun etwas erleichtert werden. Heißt: Kraft kommt hier nur an die Vorderräder, der Vortrieb endet bei 160 – und außer der bisherigen Batterie mit 78 kWh gibt es nun auch eine kleinere Version mit 64 kWh. Den Rest lassen die Schweden zum Glück unangetastet. Auch das Android-Infotainment-System, das übersichtlich daherkommt und bestens auf Sprachbefehle reagiert.
Und so ist man im Zeichen des Nordsterns weiterhin mit der Mischung aus nordischer Kühle, schnittigem Design und bewusstem Understatement unterwegs. Das beginnt bei der langen Motorhaube, geht über die klassisch-glatten Außenflächen und endet beim hartnäckig hochkant stehenden Touchscreen über dem beinahe schalterlosen Cockpit. Ein bisschen eigen sind sie bei Polestar halt auch.
Der Innenraum präsentiert sich hochwertig, geräumig und dank gut geformter Sitze auch zum Wohlfühlen. Selbst im Fond herrscht reichlich Platz für Kopf und Knie, auch wenn der Einstieg eine kleine Verbeugung vor der schick abfallenden Dachlinie erfordert. Kleines Manko: Mit 405 Litern (bei umgeklappten Sitzen sind es 1095) verdient sich der Polestar 2 nicht unbedingt das Prädikat Raum-Gleiter. Allerdings lässt die große Heckklappe auch das Einladen sperriger Güter zu – und im 35 Liter fassenden „Frunk“ über der Vorderachse findet zum Beispiel das Ladekabel Platz. Neu bei den Polsterstoffen ist ein 3D-Gewebe namens „Weave-Tech“, das entfernt an einen Neoprenanzug erinnert. Womöglich soll man in die Welt der E-Mobilität regelrecht eintauchen.
Und in dieser Welt geht es geschmeidig vorwärts. Die 165 kW (170 sind’s beim großen Akku) haben mit den gut zwei Tonnen keinerlei Mühe. Wer es darauf anlegt, erreicht in 7,4 Sekunden Tempo 100, und auch sonst herrscht an Vortrieb kein Mangel. Pech allenfalls, dass der Testtag verregnet war und der Grip ein wenig reduziert. Ansonsten nämlich hätte man den Allradantrieb des Top-Modells wohl gar nicht vermisst.
Die Abstimmung ist angenehm straff, ohne unkomfortabel zu wirken. Dabei tut die Batterie im Boden das Ihre für einen tiefen Schwerpunkt des Wagens, andererseits strebt Masse in engen Kurven halt Richtung Tangente. Gänzlich überlisten lässt sich Physik eben auch von den klügsten Helferlein nicht.
Apropos Physik: Je weniger druckvoll der rechte Fuß, desto weiter die Fahrt. Das ist beim Strom nicht anders als beim Sprit. Mit dem großen Speicher verspricht Polestar 540 Kilometer Radius, im alltäglichen Betrieb und ohne Dauerschielen Richtung Verbrauch werden daraus um die 400. Wer sich für die kleinere Batterie entscheidet, kommt nominell auf 440 Kilometer, in der Realität also auf rund 300.
Das sind Werte, mit denen die allermeisten prima leben können. Zumal die Stromzufuhr keine Ewigkeit dauert. Am DC-Lader lasen sich in 40 Minuten 80 Prozent Kapazität ziehen, an der 11-kW-Wallbox vergehen für eine Füllung runde acht Stunden. Und wer das bis zum Stillstand reichende One-Pedal-Driving mit starker Rekuperation nutzt, kann den Besuch beim Stecker auch noch ein wenig hinauszögern.
Ab Werk verfügt der Polestar 2 über ein Notbrems-System, das Autos, Fußgänger, Zweiradfahrer und Wildtiere erkennt – und auch für Gegenverkehr auf der eigenen Spur den Anker wirft. Ebenfalls an Bord ist der „Pilot Assist“, der – zeitlich begrenzt – selbstständig fährt, ohne ein Auto vor sich zu brauchen. Droht der Drift Richtung Gegenseite, greift der Wagen selbst ins Volant.
Gedacht sind die in China gefertigten Schweden für Kunden, die das Individuelle lieben, Understatement pflegen und das Gehobene schätzen. Auch beim Preis. Mindestens 45.500 Euro (nach Abzug der womöglich in Bälde endenden Förderung 35.930) muss man für den Fronttriebler mit kleinem Akku anlegen. Der große kostet 3000 Euro Aufpreis – und dann ist man wiederum nur mehr 2500 Euro vom Top-Modell entfernt. In diesen Dimensionen ein eher überschaubarer Abstand. Bestellungen übrigens sind nur online möglich. Aktuell gibt es sieben „Spaces“ in großen deutschen Städten sowie einen wechselnden Showroom, in denen das Auto besichtigt und zu Probefahrten geliehen werden kann.
Wer darauf wartet, dass Polestar seinen Modellen auch mal die Federbeine langzieht – im kommenden Jahr soll ein SUV im Format des Porsche Cayenne debütieren, ein Jahr später eines in Macan-Größe. Ein viertüriger GT soll dann 2024 seinen Auftritt haben. Das ist jede Menge Programm für eine Nischen-Marke.