Es ist ein Teil meiner täglichen Arbeit, die deutsche Automobilindustrie zu analysieren und zu versuchen zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Wie auch im privaten Leben gibt es immer verschiedene Grautöne aber wenn man die Farben sorgfältig trennt, bleibt letztendlich nur Schwarz und Weiß übrig.
Im Laufe der Jahre habe ich festgestellt, dass es eine große Lücke gibt zwischen dem, was Manager der Automobilindustrie in der Öffentlichkeit bestätigen und dem, was sie intern sagen und tun. Das ist vielleicht nicht überraschend sollte es aber sein. Den Unterschied zwischen diesen beiden herauszufinden, ist in der Regel eine Arbeit, die es erfordert, ‚zwischen den Zeilen lesen’ zu lernen und ‚jeden Stein umzudrehen’. Wenn das gelingt eröffnet sich eine neue Perspektive. Als hypersensibler Mensch und einem den Experten einen Asperger nennen, habe ich glücklicherweise einige wertvolle Fähigkeiten, die mir dabei helfen, Körner der Wahrheit zu finden, wo andere hilflos sind.
Heute brauche ich meine ‚geheimen Superkräfte‘ aber nicht einzusetzen, denn ich habe ein vertrauliches Volkswagen-Dokument erhalten (Einen besonderen Dank an Antoine), dass nur für den internen Gebrauch bestimmt ist. Es gibt uns lehrreiche Einblicke, wie das Volkswagen-Management die Händler für jeden verkauften ID.4 kompensiert. Das vertraulich eingestufte Dokument, das auf meinem Schreibtisch liegt, wurde an französische Händler geschickt und ermöglicht es mir, Fehlinformationen zu beweisen, die einige von Ihnen vielleicht sogar als Lügen von Volkswagen bezeichnen würden. Es ermöglicht mir weiterhin festzustellen, dass die Behauptungen, die Greenpeace kürzlich über VW aufgestellt hat, richtig sind.
Greenpeace hat eine Volkswagen Studie veröffentlicht, die zu folgenden Ergebnissen kommt:
- VW hat kein Interesse an einer weiteren Beschleunigung der Transformation und plant den Verkauf seiner Elektroautos nur entlang der europäischen Vorgaben zum Flottenverbrauch.
- Es gibt keine Anreize für VW-Händler und -Verkäufer, unentschlossenen Kunden ein Elektroauto statt eines Verbrennungsmotors zu verkaufen.
- Andere Modelle werden mit attraktiven, von VW subventionierten Sonderkonditionen in den Markt gedrückt, während es für den ID keine vergleichbaren Maßnahmen gibt.
Greenpeace behauptet, mit Händlern gesprochen zu haben, die eine ID.3-Verkaufsmarge von 6% mitteilten was etwa 8% niedriger ist als die durchschnittliche Marge von 14% für den Verkauf eines Verbrenners. Wenn diese Information korrekt ist, sollte es nicht überraschen, dass von den 25 befragten Händlern der Studie in Deutschland 17 den Kauf eines Verbrenners empfohlen haben aber nur ein Händler den ID.3. Das Verhältnis von 25:1 steht in krassem Gegensatz zu dem, was VW offiziell behauptet, nämlich den Verkauf von Elektroautos zu forcieren und den Übergang zum nachhaltigen Transport zu beschleunigen.
Das neu für die ID eingeführte VW-Händler-Agenturmodell sieht eine feste Provision oder Basismarge für den Händler vor. Im Vergleich zu Verbrenner-Fahrzeugen müssen Händler die Fahrzeuge nicht mehr im Voraus kaufen und finanzieren, was die Kosten reduziert. Dies macht den Händler zu einem Agenten für VW und eliminiert die Finanzierungskosten, aber auch die Flexibilität, da die Preise eines ID.3 oder ID.4 fixiert sind und die Händler keine Rabatte geben können, um den Verkauf dadurch zu fördern. Hinzu kommt, dass Elektroautos einen deutlich geringeren Wartungs- und Servicebedarf haben, was den Verkauf eines ID für einen Händler ebenfalls weniger attraktiv macht. Zusätzlich zur Provision erhalten die Händler einen Bonus, wenn sie eine bestimmte Anzahl von Fahrzeugen verkaufen. Dieser Bonus entfällt bei Elektroautos ersatzlos.
Konfrontiert mit den Ergebnissen der Greenpeace-Studie, in der 56 unbezahlte Greenpeace-Mitarbeiter mit 50 von 865 Händlern, die den ID.3 in Deutschland verkaufen, sprachen, lehnte VW zunächst eine Stellungnahme ab, gab aber kurz darauf gegenüber 24auto.de folgendes Statement ab:
"Der ID.3-Verkauf wird in diesem Programm sogar überproportional gefördert. In diesem Zusammenhang bitten wir um Verständnis, dass wir aus Wettbewerbsgründen keine internen Zahlen zur Frage der Händlermargen nennen können."
Volkswagen AG
Das mir vorliegende vertrauliche Volkswagen-Dokument belegt eine Basismarge von nur 4,5% und 0% Bonus für den ID.4 und macht ihn dadurch für jeden Händler, im Vergleich zu einem Verbrenner oder Hybrid im Verkauf unattraktiv. Im Bereich Service und Instandhaltung ist er es sowieso schon.
Verglichen mit der durchschnittlichen Basismarge eines Verbrenners von 14% bedeutet jeder verkaufte ID.4 einen Einkommensverlust von mindestens 9,5% für den Händler. Berücksichtigt man den Schwellenwertbonus, den ein Verbrenner erhalten kann, beträgt die Differenz schnell mehr als 10%. Rechnet man die zukünftigen Wartungs- und Servicekosten für einen verkauften Verbrenner hinzu, erhöht sich der Einkommensverlust weiter. Die nicht notwendigen Finanzierungskosten in einer Zeit der Negativzinsen bieten stattdessen keinen nennenswerten Vorteil.
- Ist es überraschend, dass Händler um einen deutlichen Einkommensverlust zu vermeiden, stattdessen versuchen Verbrenner an einen unentschlossenen Käufer zu verkaufen, wie es in der Greenpeace-Studie nachgewiesen wurde? Nein, ist es nicht.
- Ist es überraschend, dass Volkswagen angibt überproportionale Anreize für den Verkauf von Elektroautos zu setzen? Ja, das ist es.
Ein Einkommensverlust von 10% für ein Fahrzeug ist eine Menge Geld für einen Händler, der einen ID.4 verkauft hat, aber stattdessen auch einen Verbrenner oder Hybrid hätte verkaufen können. Auch wenn sich die Zahlen je nach Land leicht unterscheiden mögen, bleiben die Gesamtaussage und das Ergebnis dasselbe.
Wenn wir das Volkswagen Dokument mit den Behauptungen und Ergebnissen der Greenpeace-Studie vergleichen, können wir die Schlussfolgerung ziehen, dass die Aussagen von Volkswagen schlichtweg falsch sind und manche mögen sie sogar als Lüge bezeichnen.
Die Aussage von Volkswagen, der „ID.3-Verkauf wird in diesem Programm sogar überproportional gefördert“, ist für den ID.4 definitiv nicht zutreffend und die Annahme liegt nahe, dass sie auch für den ID.3 falsch ist. Beide Modelle unterscheiden sich nicht wesentlich und werden sich deshalb auch nicht wesentlich in der Händlermarge unterscheiden. Für den ID.4 in Frankreich beträgt die Händlermarge definitiv 4,5% ohne Bonus und die von Greenpeace veröffentlichten 6% Marge ohne Bonus für den ID.3 erscheinen in diesem Zusammenhang sehr realistisch.
Die schlechte Nachricht ist noch nicht einmal, dass die Händler einen Malus bekommen, wenn sie einen ID anstelle eines Verbrenners verkaufen, die schlechte Nachricht ist, dass VW sich nicht geändert hat und die Öffentlichkeit weiter belügt. Volkswagen verkauft nicht jeden Elektrowagen den sie verkaufen könnten, sondern versucht offensichtlich den optimalen Fahrzeugmix zu finden, um den höchstmöglichen Gewinn zu erzielen. Trotz Strafzahlungen von mehreren hundert Millionen Euro in 2020 aufgrund nicht erreichter CO2 Flottenwerte stehen diesen Kosten die höheren Gewinnen beim Verkauf von Verbrennern gegenüber. Der Klimawandel und CO2-Ausstoß ist dabei für das Management nicht von Bedeutung.
Volkswagen hat in der Vergangenheit auf kriminelle Art und Weise mit ausgeklügelten Täuschungsmanövern die Öffentlichkeit über die wahren Emissionen ihrer Fahrzeuge belogen und seine Kunden dabei um Milliarden betrogen. Der Nebeneffekt war und ist eine Beschleunigung des Klimawandels. Der finanzielle und rufschädigende Schaden war dabei groß, aber mit dem Antritt des neuen Vorstandsvorsitzenden Herbert Diess erklärte man, das Unternehmen habe sich nun geändert.
In den letzten 5 Jahren wiederholte Volkswagen durch seine Marketing- , Public Relations-Abteilung und auch durch das Management immer wieder, dass das Unternehmen den Wandel zum nachhaltigem Klimaschutz betreibt und beschleunigt.
"Die Wahrheit ist, dass Volkswagens Priorität Nr. 1 der nachhaltige Gewinn ist. Wenn es wirklich darum ginge, den Übergang zu nachhaltigem Transport zu beschleunigen, würde Volkswagen die Händler kompensieren, so viele ID.3 und ID.4 wie möglich zu verkaufen, aber sie motivieren die Händler stattdessen Verbrenner und Hybride zu priorisieren."
Alexander Voigt
Wir müssen erkennen, dass Volkswagen seine Kunden und die Öffentlichkeit wie in der Vergangenheit belügt und den Profit in das Zentrum seiner Handlung stellt. Profit zu machen ist nicht negatives aber dann sollte Volkswagen aufhören zu behaupten sie haben ein Interesse am Klimaschutz.
Dieser Artikel ist im Dezember 2020 auf der US Webseite www.cleantechnica.com erschienen und wurde in der heutigen deutschen Version mit aktuellen Zahlen, Inhalten und Informationen angepasst.