Was ist Roaming in der Elektromobilität?
Der Begriff Roaming (englisch für „herumwandern“, „streunen“ oder „herumstreifen“) bezeichnet die Fähigkeit eines Mobilfunknetz-Teilnehmers, in einem anderen Netzwerk als seinem Heimnetzwerk selbsttätig Anrufe zu empfangen oder zu tätigen,...
Wikipedia
So beginnt der Artikel über den Begriff Roaming in der deutschsprachigen Wikipedia. Der Begriff kommt also aus dem GSM-Mobilfunk und wurde passenderweise für die Elektromobilität übernommen. Abgeleitet vom Herumwandern in Mobilfunknetzen, bezeichnet der Begriff hier ein ganz ähnliches Konzept: Zwar sollte der Elektromobilist nie tatsächlich “herumwandern” müssen, solange der Akku noch voll ist. Er möchte sich vielmehr frei bewegen können und bedenkenlos die Ladesäulen der verschiedenen Betreiber nutzen.
Die Unternehmen, die den Elektroautofahrern Ladestromverträge anbieten, werden international mit dem englischen Begriff “Electric Vehicle Service Provider” bezeichnet. Sie sind also Anbieter von (Lade-)Dienstleistungen. Auf der anderen Seite stehen die Unternehmen, welche Ladestationen aufstellen und betreiben, englisch mit “Electric Vehicle Supply Equipment Operator” bezeichnet; bleiben wir hier bei “Ladestationsbetreiber”.
Vorrangiges Ziel der Anbieter von Ladestromtarifen ist es, ihren Kunden Zugang zu Ladesäulen in ihrem Einzugsgebiet zu ermöglichen. Um dies zu erreichen, gehen die Anbieter Roaming-Abkommen mit Ladestationsbetreibern ein. Somit können sich die Kunden im eigenen Geschäftsgebiet frei bewegen. Kunden sollen an allen für sie im Alltag relevanten Punkten einen Ladepunkt vorfinden, den sie mit dem Ladestromtarif nutzen können. Um das Angebot weiter auszudehnen, bindet der Anbieter weitere Ladestationsbetreiber in benachbarten Gebieten und Ländern an.
Roaming im Mobilfunk bedeutet für den Nutzer erstmal nur “Habe ich Netz?” und “Was kosten Telefonie und Daten?”. Niemand fragt sich, wo der nächste Sendemast steht und ob es dort auch einen Parkplatz gibt. Das ist der Unterschied zum Roaming in der Elektromobilität. Im Mobilfunk ist das Auffinden der der Infrastruktur nicht Teil des Roamings, sondern nur der Zugang. Hier kommt noch eine weitere Komponente hinzu, die ebenso wichtig wie Zugang und Abrechnung ist: Die Geodaten mit Echtzeit-Informationen.
Roaming, [das] (Elektromob.) – Eine Definition
Roaming in der Elektromobilität ist also das Zugänglichmachen von Ladepunkten für Kunden fremder Anbieter, inklusive des gesamten, für den Kunden, den Anbieter und den Betreiber dazu benötigten Informationsaustausches.
Dazu zählt die Bereitstellung von zuverlässigen und detaillierten Geo-Informationsdaten, die dem Kunden das Auffinden der für ihn optimalen Ladestation ermöglicht. Diese sollten neben den bloßen Adressdaten auch zahlreiche Merkmale zur Station und deren technischer Ausstattung enthalten. Hinzu kommt die Information über den Zustand der einzelnen Ladepunkte, sowie der nötigen Tarifinformationen ( die anfallenden Endkosten in kwh). Sind diese zum jetzigen Zeitpunkt verfügbar oder von einem ladenden Fahrzeug belegt? Diese Daten bereitet der Anbieter für seine Kunden auf und stellt sie auf seiner Webseite, direkt im Fahrzeug oder in seiner App bereit.
An der Ladestation angelangt, möchte der Kunde sein Elektroauto laden, soll also für einen Ladevorgang Freigeschaltet werden. Dies kann durch eine Autorisierung per RFID-Karte geschehen, wenn die entsprechenden Kartenmerkmale vorab zwischen dem Anbieter des Kunden und dem Betreiber der Ladestation ausgetauscht wurden.
Alternativ kann sich der Kunde auch über die eigene App des Anbieters oder durch direkte Bezahlung mit einem anderen Zahlungsmittel für den Ladevorgang autorisieren. Für die Freischaltung per App existieren verschiedene Konzepte, welche dem Kunden die Auswahl des gewünschten Ladepunktes erleichtern, wie beispielsweise Aufkleber mit QR-Codes auf den Ladesäulen.
Das hier beschriebene Roaming lässt sich außerdem noch von sogenannten Roaming-Netzwerken abgrenzen. Dies sind in der Regel Zusammenschlüsse aus mehreren Anbietern und Ladestationsbetreibern, die ein gemeinsames System verwenden. Das Roaming innerhalb eines Netzwerks wird durch vereinheitlichte Verträge und den gemeinsamen Gebrauch des selben IT-Systems stark vereinfacht.
Häufig haben Roaming-Netzwerke zudem auch Roaming-Beziehungen, in denen sie nach außen als eine Einheit auftreten. Einzelne Anbieter innerhalb eines Roaming-Netzwerks können zudem noch zusätzliche reguläre Roaming-Beziehungen zu anderen Unternehmen außerhalb des Netzwerks haben.
Um dem Kunden ein attraktives und ausgeglichenes Produkt anbieten zu können, sollte die gesamte Komplexität dieser vielschichtigen Verbindungen jedoch möglichst gering gehalten werden. Die unterschiedlichen Tarife der Roaming-Abkommen müssen im Endkunden-Tarif für Ladedienstleistungen berücksichtigt werden. Außerdem sind verfügbare Ladepunkte und geltende Tarife zu jeder Zeit und aktuell an den Kunden zu kommunizieren, damit dieser die Ladestationen zuverlässig auffinden und verwenden kann.
Kein Ladepunkt ohne Roaming
Für Betreiber von Ladestationen ist das Roaming in der Zwischenzeit zu einem elementaren Bestandteil – wenn nicht sogar zur erfolgsentscheidenden Komponente – geworden. Es gibt kaum einen Betreiber, der nicht über mindestens eine Roaming-Schnittstelle verfügt. Insellösungen gehören damit langsam aber sicher der Vergangenheit an.
Eine Roaming-Beziehung ist im Kontext der Elektromobilität nicht nur die technische Verbindung zweier IT-Systeme, welche zum Datenaustausch zwingend nötig ist. Sie schließt auch entsprechende Verträge und die Implementierung dieser im Hinblick auf die Endkunden der jeweiligen Roaming-Partner ein. Solange die unterschiedlichen Roaming-Abkommen relativ homogen sind, ist die technische Komponente jedoch die größere Hürde.
Um die Komplexität einer großen Anzahl an Roamingverbindungen zu reduzieren, binden sich Ladestationsbetreiber an Roaming-Plattformen an. Hier gibt es verschiedene Anbieter, welche die technische und teilweise auch die vertragliche Anbindung an Roamingpartner aus dem In- und Ausland harmonisieren.
Die Angebote unterscheiden sich dabei in einigen wesentlichen Punkten. Diese sollten vor der Entscheidung zur Anbindung an die eine oder die andere Plattform bedacht werden. Dazu zählen unter anderem:
- Welche und wie viele Roaming-Partner sind über die Plattform erreichbar, sowie deren Geschäftsgebiet. Wenn zunächst nur ein spezifischer Roaming-Partner erreicht werden soll, lohnt sich der Vergleich verschiedener Lösungen.
- Das Preismodell der Plattform, von pauschaler Nutzungsgebühr bis hin zu transaktionsbasierten oder kontingentbasierten Modellen. Dabei sollte immer auch ein zukünftiges Wachstum bei steigendem Anteil an Roamingvorgängen einkalkuliert werden.
- Zusatzdienstleistungen, die über die Plattform angeboten werden oder zusätzlich gebucht werden können, wie Beispielsweise Systeme zur Direktbezahlung für Spontankunden, d.h. Kunden ohne festen Vertrag.
- Das verwendete Roaming-Protokoll und somit die damit ermöglichten Funktionen und übertragbare Daten.
Die Anbindung an eine Roaming-Plattform in der Elektromobilität vereinfacht das Herstellen neuer Roaming-Verbindungen mit anderen Anbietern oder Ladestationsbetreibern. Die Auswahl der passenden Plattform ist dabei von einer Reihe von Faktoren abhängig, welche sorgfältig zu bewerten sind.
Um auch zukünftig ein konkurrenzfähiges Produkt anbieten zu können, wird die Flexibilität und die Dynamik in der Weiterentwicklung der Plattform-Dienstleistungen mehr und mehr entscheidend. Insbesondere wenn neue, vom Marktstandard abweichende Produkte und Geschäftsmodelle über die Roaming-Schnittstelle ausgeführt werden sollen, kann die Plattform unter Umständen zum limitierenden Faktor werden.
Aktuelle Entwicklungen
Während sich die Anfänge des Roamings in der Elektromobilität auf den Austausch von Zugangsdaten und Geodaten beschränkt hat, ist im unmittelbar folgenden zweiten Schritt der Versand von abrechnungsrelevanten Daten hinzugekommen. Mittlerweile sind diese Systeme vielfach erfolgreich im Betrieb und werden weiterentwickelt. Dabei steht die Qualitätssteigerung der Point-of-interest-Daten (POI-Daten) ebenso im Fokus wie das Erkennen und Behandeln von Fehlern in den Daten der Abrechnung.
Ergänzend zur Freischaltung per RFID-Karte, deren Autorisierungsdaten vorab übertragen werden, unterstützen mittlerweile die meisten Roaming-Plattformen auch eine Echtzeitoder Remote-Freischaltung: Diese Ermöglicht dem Anbieter seinen Kunden alle Ladestationen, unabhängig von deren Betreiber, per App zugänglich zu machen, da zwischen Anbieter und Ladestationsbetreiber mittels der Roaming-Plattform eine Roaming-Beziehung besteht.
Derzeit unterstützen jedoch noch nicht alle Ladestationsbetreiber diese Remote-Freischaltung. Es hat sich darüber hinaus auch noch kein einheitliches Konzept zur Identifizierung des angewählten Ladepunktes etabliert, welches zur Steigerung der Benutzerfreundlichkeit des Gesamtsystems notwendig wäre. Gerade bei größeren Stationen mit einer Vielzahl von Ladepunkten muss es dem Nutzer ermöglicht werden, den
gewünschten Ladepunkt zuverlässig und schnell in seiner App zu identifizieren.
Das Umfeld der Ladesäule
Die Konzepte, die sich derzeit in der Umsetzung und Erprobung befinden, adressieren das Umfeld der Ladesäule, sowohl in räumlicher als auch in elektrotechnischer Hinsicht. Auf der einen Seite wird die Anbindung an das Stromnetz intelligenter, auf der anderen Seite wird der Parkraum integriert.
Ladevorgänge stellen für das Stromnetz eine relativ hohe Last dar, welche sich im Prinzip steuern lässt. Somit können Ladevorgänge genau dann stattfinden, wenn das Stromnetz die entsprechende Leistung bereitstellen kann, oder dann, wenn die lokale Solaranlage genügend Strom produziert. Damit der Fahrer am Ende aber nicht mit leerem Akku dasteht, ist die Information darüber notwendig, bis wann wie viel Energie benötigt wird. Diese Daten und die Preisinformationen für solch flexible Tarife müssen über die Roaming-Schnittstelle übertragen werden.
Im direkten räumlichen Umfeld der Ladesäule tut sich ebenfalls etwas: Durch zusätzliche Sensoren wird die Belegung der Parkplätze vor der Ladesäule überwacht. Damit lassen sich Ladepunkte zuverlässig reservieren und den Kunden mitteilen wenn diese durch parkende Fahrzeuge versperrt sind.
Diese Entwicklungen beeinflussen Roaming-Beziehungen in mehrfacher Hinsicht und müssen jeweils von Roaming-Protokollen und -Plattformen unterstützt werden.
Eine Alternative zum Roaming?
Immer mehr Ladestationsbetreiber bieten neben dem Zugang per RFID-Karte und App für Vertragskunden auch Möglichkeiten für die Direktbezahlung an. Das Anbieten einer Direktbezahlmethode ist beim Neubau von öffentlichen Ladestationen seit Mitte 2017 basierend auf den Bestimmungen der LSV (Ladesäulenverordnung) verpflichtend. Dies gewährt auch Spontankunden jeder Zeit den Zugang zur Ladeinfrastruktur, da vorab kein Vertragsabschluss nötig ist. Ein solches Angebot kann jedoch nur ergänzend zum Roaming gesehen werden: Eine regelmäßige Nutzung von Ladepunkten per Direktbezahlung ist für den Kunden weniger komfortabel, da sie jeweils mehrere Schritte von der Auswahl des Ladepunkts und der Zahlungsmethode bis hin zur Bestätigung der Geschäftsbedingungen nötig machen. Nichtsdestotrotz wird auch bei reiner Direktbezahlung eine Roaming-Verbindung benötigt, um die Geo-Informationsdaten und den Echtzeitstatus an die Auskunfts- und Navigationssysteme zu senden: Zwar müssen bei reiner Direktbezahlung an der Ladesäule keine Autorisierungsdaten übertragen werden, der Kunde muss die Station aber auffinden und auswählen können.
Diese Erweiterung wird teilweise als Zusatzdienstleistung von Roaming-Plattformen angeboten, was die kombinierte Nutzung mehrerer Konzepte weiter erleichtert.
Wie OCPI das Laden einfacher macht
Als Elektroauto-Fahrer und Nutzer von Ladesäulen möchte man überall laden können: In der eigenen Stadt genauso wie im Nachbarland. Die Nutzung von Ladesäulen soll alltäglich und spontan geschehen können wir das Tanken von fossilen Brennstoffen.
Wer möchte sich bei so etwas alltäglichem wie dem Tanken schon gerne umgewöhnen müssen?
Als Elektroauto-Fahrer möchte man unabhängig sein. Die Fragen sollten nur lauten: “Wo will ich hin und wo steht die Ladesäule?” Kunden möchten die Infrastruktur unabhängig vom Betreiber nutzen können und keine Sammlung an RFID-Karten oder anderen Autorisierungsmedien mit sich führen. Ziel ist: Mit einem Vertrag überall laden können.
Genau das leistet Roaming schon heute! Wie der neue Standard OCPI das Roaming noch einmal revolutionieren kann, zeigen wir im folgenden.
Eines der fortschrittlichsten Roaming-Protokolle auf dem Markt ist das Open Charge Point Interface (OCPI), welches allen Anbietern ermöglicht, ihren Kunden ein grenzenloses Roaming-Erlebnis zu bieten.
Was macht OCPI anders, als bisherige Protokolle? OCPI ermöglicht eine direkte Verbindung zwischen den IT-Systemen der verschiedenen Anbieter. Im Unterschied zu anderen Roaming-Protokollen kommt es durch diese sogenannte Peer-to-Peer-Verbindung ohne eine zusätzliche Roaming-Plattform aus. Dies reduziert für alle beteiligten die externen Abhängigkeiten. Dadurch kann jeder Anbieter unabhängig von den Funktionen der Roaming-Plattform seine eigenen Produkte frei entwickeln.
Alles aus einer Hand
Anbieter von Ladestromverträgen können dank Roaming ihren Kunden alle Ladestationen europaweit aus einer Hand bieten. Über die App des Anbieters kann der Kunde die passende Ladestation finden und freischalten. Während des Ladevorgangs zeigt die App den Status an und Informiert den Kunden über alle Vorkommnisse.
Das Ermöglichen solcher integrierter Lösungen standen und stehen bei der Entwicklung von OCPI genauso im Fokus wie das Nutzererlebnis. Da OCPI von Grund auf neu entwickelt wurde, sind viele Erfahrungswerte aus älteren Roaming-Protokollen eingeflossen.
Selbstverständlich kommt die Abrechnung aller Ladevorgänge, für den Kunden übersichtlich aufbereitet, direkt vom Anbieter.
Um von den Vorteilen einer direkten IT-Schnittstelle zu seinen Roaming-Partnern profitieren zu können, muss zuerst eine OCPI-Schnittstelle am eigenen System geschaffen werden. Um die Kompatibilität sicherzustellen, sollte vorab das eigene Datenmodell und die benötigten Funktionen mit denen von OCPI abgeglichen werden.
Das Protokoll ist komplett Open Source und auf GitHub unter https://github.com/ocpi/ocpi/ einsehbar.
Simon Schilling ist Diplomingenieur, Berater für Elektromobilität und Gründer von Wiedergrün. Das Team von Wiedergrün berät und betreut Unternehmen ganzheitlich zu allen Fragen Rund um das Thema Ladeinfrastruktur von Elektrofahrzeugen. Wiedergrün hat 2019 die erste umfangreiche Datenbank für Ladeinfrastruktur ins Leben gerufen. b2charge.com ist eine B2B-Plattform die Unternehmen auf der Suche nach passenden Ladekonzepten und -lösungen eine zeit- und kostensparende Alternative zu herkömmlichen Suchmöglichkeiten bietet. Sie hilft produzierenden Unternehmen und Dienstleistern von Ladeinfrastruktur ihre Produkte transparent zu vermarkten.